Tirúa – Los Alamos – Concepción
Gegen 11:00 Uhr breche ich an diesem Morgen in mieser Stimmung und nachdem ich den starken Regen abgewartet habe, endlich auf. Die Großmutter von Alex verlangt plötzlich den doppelten Betrag, da ich bei ihr mit zu Abend gegessen habe und Alex selber liegt lieber noch im Bett, als dass er sich um diese Angelegenheit kümmern und sich von mir verabschieden würde. Ohne den geforderten Mehrbetrag zu zahlen, rausche ich mit meinem Fahrrad durch den anhaltenden Nieselregen davon. Völlig in meinen Gedanken versunken erreiche ich am späten Nachmittag Canete, versuche eine Touristeninformation zu finden, ohne Erfolg. Zumindest im „Municipalidad“ (= Rathaus) kann mir ein wenig Auskunft gegeben werden, einen Campingplatz gibt es mal wieder nicht und das Hostal, welches mir empfohlen wird, verlangt doch glatt 10.000 chilenische Peso (ca. 15 Euro), was mir eindeutig zu teuer ist! Ein wenig ratlos radele ich zunächst einmal zum Supermarkt, decke mich für die nächsten Tage ein und bepacke gerade mein Fahrrad, als eine Frau auf mich zu kommt und fragt, ob ich für heute schon einen Übernachtungsplatz gefunden hätte. Welch ein Zufall! Los Alamos, liegt weitere 30 km von Canete entfernt, doch da mich nichts in Canete hält, trete ich fleißig in die Pedale und erreiche am Abend das Haus der canadisch-australischen Familie Lick. Fünf Töchter erwarten mich schon, Heißwasser für die Dusche ist aufgesetzt und das Abendessen steht auf dem Tisch, vor ein paar Stunden sah mein bevorstehender Abend noch ganz anders aus...
Die sieben Lick's sind aus Australien für drei Monate nach Chile gekommen und helfen beim Aufbau einer völlig im Jahr zuvor durch das starke Erdbeben zerstörte Kirche wieder aufzubauen. Insgesamt bleibe ich für zwei Nächte, darf meine staubige Wäsche waschen, beim Zementmischen für die Kirche auf der Straße zuschauen und am Familienleben teilnehmen,
bevor ich nach einem sehr herzlichen Abschied nach Concepción aufbreche.
Plötzlich bin ich wieder auf der Straße, zahlreiche LKW's mit tonnenschweren Ladungen an Baumstämmen überholen mich teilweise handbreit, ich steuere auf einem Highway der nächsten Großstadt entgegen. In „San Pedro de la Paz“ kehre ich kurz in einen Kiosk ein, um mir eine Cola zu kaufen und lerne ein neues spanisches Wort kennen: „Regalo“ (= Geschenk), mein dem Verkäufer entgegen gestreckter Geldschein wird mir wieder zurückgegeben.
Über eine große Brücke gelange ich dann ins Zentrum von Concepción, frage mich zur Plaza durch und fahre unbemerkt in eine Menschentraube hinein, die um einen Straßenclown herumsteht. Schnell versuche ich einen Bogen zu fahren, doch zu spät, der Clown hat mich erblickt, reißt seine stark geschminkten Augen weit auf, streckt den Zeigefinger aus und winkt mich herbei. Alle Blicke sind nun auf mich gerichtet und so fahre ich ihm entgegen. Zunächst fordert er mich spaßeshalber mit einer Pistole vom Rad und zum Abschied verlangt er einen Kuss auf die Wange, wobei er das Gesicht jedoch blitzartig dreht und ich einen dicken Schmatzer mit rotem Lippenstift auf den Mund erhalte. Dann bin ich wieder frei und steuere auf die Carabineros (chilenische Polizei) zu, die in einem Transporter auf der Plaza stehen, um mich nach einem Stadtplan zu erkundigen.
Die Touristeninformation ist seit dem Erdbeben auch hier geschlossen, günstige Hostals in Zetrumnähe scheinbar rar gesät. Nachdem die drei Carabineros mehrfach rumtelefoniert und mich über meine Reise ausgefragt haben, wird mein Rad einfach in den Transporter geladen und auf geht’s zur Wache. Die Schicht der drei ist sowieso fast vorbei und ich darf bei Carabiniera Marta übernachten.