Talca – San Fernando – San Pedro – Casablanca – Valparaiso
Das Packen und Sortieren der neugeschickten Dinge, vor allem das Brennen der Bilder-DVD's zog sich bis um 03:00 Uhr in den nächsten Morgen hinaus, bevor ich mich für ein paar wenige Stunden hinlegen konnte. In Deutschland war es derweil schon 08:00 Uhr am Morgen und ich erwischte meinen Papa noch für einen schnellen Abschiedsgruß beim Frühstück.
Gegen 10:00 Uhr ging es dann endlich los, ich radelte über den Schotterweg der Hotelanlage nach Talca auf die Ruta 5 al Norte.
Das Fahrrad kam mir unendlich schwer vor, dabei hatte ich höchstens zwei Kilo an Mehrgepäck aufgeladen, ich musste einen solch enormen Kraftaufwand betreiben, um das Rad voranzubringen, woran ich mich in der Vergangenheit auf ebener Strecke nicht erinnern konnte.
Nach der langen Pause fühlte es sich an, als ob ich einen zweiten Start hinlegen würde.
Den ganzen Tag bahnte ich mir meinen Weg äußerst rechts auf dem Highway entlang, bevor plötzlich hässliche Fahrrad-Verboten-Schilder auftauchten. Kurzzeitig ergab sich die Möglichkeit eine Parallelstraße zu fahren, die jedoch bald abrupt endete und mir nichts anderes übrig blieb, wie auf die Ruta 5 zurückzukehren. Insgesamt passierte ich mindestens drei Polizeikontrollen, doch niemand unternahm einen Versuch, mich von der Straße zu holen, sodass ich meinen Weg ungehindert bis San Fernando fortsetzen konnte.
Nach 123 geradelten Kilometern quartierte ich mich für den ersten Abend in einer Residencial ein, genoss die erfrischende Dusche und fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Die 6 ½ Stunden Fahrtzeit hatten mir alle Kräfte geraubt, an die körperliche Anstrengung musste ich mich erst einmal langsam wieder gewöhnen.
Am nächsten Morgen startete ich gegen 09:00 Uhr mit leichtem Muskelkater, die letzten zwanzig Kilometer der Ruta 5 bewältigte ich geschwind, bevor ich bei Pelequén endlich die Abfahrt nehmen konnte. Zunächst zeigte sich auf dieser Nebenstraße der Verkehr jedoch leider von vergleichbarer Stärke, nur der Seitenstreifen hatte sich in seiner Breite noch ein wenig verkleinert… Wenige winzige Orte durchzogen die einsame Strecke und am Abend fand ich in San Pedro zum Glück eine Übernachtungsmöglichkeit. Die ursprünglich vorgesehenen weiteren vierzig Kilometer nach San Antonio waren dann doch ein wenig zu viel.
Gegen Mittag traf ich anderntags in San Antonio ein, gerade rechtzeitig um den Fischmarkt und das bunte Markttreiben erleben zu dürfen.
Keine fünf Meter von der Marktgasse entfernt tummelten sich einige Pelikane und Seelöwen, die ich bei einer Empanada Camarón (frittierte Teigtasche gefüllt mit kleinen Krabben und Käse) beobachten konnte. Ein interessanter Anblick so ganz natürlich und aus unmittelbarer Nähe, ohne das obligatorische Zoogitter in Deutschland…
Nach der kleinen Stärkung breche ich wieder in Richtung Valparaiso auf, folge einem Schild an der Kreuzung „Las Cruses" und fahre bis nach „Algarrobo“. Dort ist dann plötzlich Schluss, den auf meiner Karte eingezeichneten Weg kann ich nicht finden und auch die Fragerei bei einigen Einheimischen führt mich zunächst im Kreis herum, bevor ich auf dieselbe Straße gelange, die ich auf dem Weg hierher zurückgelegt habe, mit dem kleinen Unterschied, dass ich mich nun auf der anderen Straßenseite befinde. Frustriert trete ich in die Pedale, mehr als 15 km fahre ich wieder zurück, bevor die Straße einen Knick macht und ich Schilder in Richtung Casablanca erblicke. Eine Abfahrt von der anderen Straßenseite kann ich auch hier nicht erkennen, scheinbar muss es einen anderen Weg geben oder man muss tatsächlich einmal bis ans Ende der Straße fahren und auf der anderen Straßenseite wieder zurückzugelangen. Ein Schild nach Valparaiso habe ich seit der Kreuzung am Mittag jedenfalls keines mehr gesehen!
Langsam rolle ich nach acht Stunden reiner Fahrtzeit und über 1200 bewältigten Höhenmetern in Casablanca ein. Die Hostalsuche gestaltet sich als ziemlich schwierig, die einzige Residencial ist ausgebucht! Ich bedränge die Inhaberin regelrecht und kann sie dazu überreden in ihrer Garage zelten zu dürfen. Erleichtert beginne ich meinen Schlafsack und meine Isomatte hervorzukramen, als die Dame doch tatsächlich eine dicke Matratze hervorkramt und mir noch zwei Decken bringt. Eine heiße Dusche darf ich im Anschluss in ihrem privaten Bad auch noch genießen und sie besteht darauf, dass ich mir meine Haare föhne, damit ich auf meiner Tour nicht noch krank werde.
Meine Reise weckt erneut Erstaunen und Entsetzen bei meinen Gastgebern zugleich.
Ich hingegen darf mich über uneingeschränkte Gastfreundschaft freuen.
WiFi gibt es zudem auch noch, sodass ich das erste Mal von meinem neuen Netbook an einem einsamen Ort eine E-Mail nach Hause schicken kann: „Ich bin gut in Casablanca, 40 km vor Valparaiso, angekommen. Mir geht es gut, ich habe einen Schlafplatz in einer Garage gefunden. Morgen melde ich mich von Valparaiso wieder.“, so lautet der Text an meine Familie, die nun beruhigt weiterschlafen kann und ihre reisende Tochter in Sicherheit weiß.
Um 11 Uhr treffe ich am nächsten Morgen in Valparaiso ein, zunächst fällt es schwer, sich in dem Straßengewirr zurechtfinden zu können, bevor ich am Busbahnhof einen Stadtplan erhalte und zu dem empfohlenen Hostal „Luna Sonrisa“ fahre, beziehungsweise aufgrund der teilweise erheblichen Steigung von 16% eher schiebe. Oben angekommen lautet die Antwort auf ein Zimmer: „Occupado“ (besetzt), das hat mir gerade noch gefehlt, mit allerletzten Kräften angekommen, will ich mein Schicksal nicht wahrhaben, doch es wird sofort nach einer anderen Möglichkeit gesucht und zehn Minuten später checke ich in der „Casa Aventura“ ein paar Straßen tiefer ein.