Salta – Abra Blanca – San Antonio de los Cobres – Abra Chorillos - Olacapato – Paso de Sico – Campamento El Laco – Laguna Miscanti – Socaire – Toconao – San Pedro de Atacama
Es konnte also losgehen, sämtliche Informationen waren über das Internet und den Kontakt zu anderen Fahrradfahrern, die diese Route schon einmal zurückgelegt hatten, eingeholt worden.
Gleich über eine ganze Reihe von Pässen sollte es gehen, mindestens viermal davon über 4.000m hoch und von den insgesamt 510km waren gerade einmal die ersten 30km sowie die letzten 75km asphaltiert.
Um 08:00 Uhr verabschiedeten Fanny, Yannick und ich uns von den anderen Radlern, die am selben Tag Richtung „La Quiaca", zur dortigen bolivischen Grenze, aufbrechen wollten. Gemeinsam hatten wir eine schöne Zeit verbracht und viel zusammen erlebt, kein Wunder also, dass der Abschied ein wenig schwer fiel.
Doch dann treten wir in die Pedale, die ersten 30km legen wir im Eiltempo zurück, nehmen die letzte Möglichkeit einer „Gomeria“, zum Reifen aufpumpen wahr und rollen auf den Schotter. Staub hüllt uns ein, es geht stetig bergauf, doch zunächst hilft uns ein leichter Rückenwind. Schon so kurz nach Salta beeindruckt uns die Landschaft, die Berge strahlen in allen Farben und kurz bevor die Sonne untergeht finden wir eine winzige Lehmhütte einer alten Ziegenhüterin zum Schlafen, sodass wir die erste Nacht nicht in unseren Zelten verbringen müssen.
Zum Abschied bekommen wir am nächsten Morgen jeder noch eine prallgefüllte Tüte mit kleinen Äpfeln geschenkt, die Dame hat sich über unseren Besuch sichtlich gefreut, so alleine wie sie hier seit 20 Jahren lebt. In „Santa Rosa de Tastil“ können wir unsere Vorräte zumindest mit ein wenig Brot und Wasser wieder auffüllen, bevor wir dem ersten Pass, dem „Abra Blanca“ (4080m) entgegenradeln. Fanny und Yannick sind längst aus meinem Sichtfeld gewichen, die beiden Leistungssportler haben ein enorm flottes Tempo drauf und sind zudem leichter beladen, sodass ich mich die Serpentinien alleine hochquälen muss. Doch irgendwann kann auch ich das Gipfelschild und die beiden wartenden Fahrräder erkennen, das obligatorische Foto geknipst und schnell wieder etwas bergab gerollt.
Die Zelte können wir zum Glück in einer Ruine aufbauen, sodass wir etwas Schutz vor dem aufkommenden Wind bekommen, trotzdem bleibt es lausigkalt und am Morgen sind unsere Wasserflaschen gefroren sowie die gesamte Landschaft mit Frost überzogen.
Wir starten bei -7°C! Wenig später erreichen wir „San Antonio de los Cobres“, für lange Zeit der letzte größere Ort mit Verpflegungsmöglichkeit, sodass wir unsere Räder mit Lebensmitteln für 4 Tage und jede Menge Wasser bepacken. Mein Fahrradständer biegt sich unter der schweren Last gefährlich nahe dem Boden und einen Tag später brach er dann auch endgültig entzwei.
Kurz die letzten Streckeninformationen bei der Polizei eingeholt und schon schwingen wir uns wieder auf die Räder, um noch ein paar Kilometer bis zum Fuße des nächsten Anstiegs zum „Abra Chorillos“ (4560m) zu gelangen. Diesen Abend finden wir eine alte Mine, in der wir unsere Zelte aufschlagen können. Über 3 Stunden brauche ich anderntags für den Aufstieg zum Pass, 25 Minuten hinter meinen Kollegen komme ich am Gipfel an, denn teilweise kam ich über eine Geschwindigkeit von 3,5 km/h einfach nicht hinaus. Die Abfahrt genieße ich dann umso mehr in vollen Zügen, zumal es landschaftlich auch wieder unbeschreiblich schön ist. In „Olacapato“, einem winzigen Örtchen können wir ein wenig Brot und sogar einen Joghurt erstehen, der später unser Abendessen enorm bereichern sollte, noch heute sprechen wir von diesem leckeren Dessert.
Am nächsten Tag dürfen wir unseren ersten Salar (Salar del Rincon) bewundern, an dem wir 12km entlang fahren. Unsere Mittagsrast verbringen wir an einer Baustelle hinter einem Kiesberg und bemerken daher zunächst gar nicht, dass der Wind erheblich aufgefrischt hat und wir uns nun die letzten 5km zur argentinischen Grenze regelrecht erkämpfen müssen. Nach einem recht verhaltenen, beinahe auf uns abweisend wirkenden Empfang der Grenzbeamten, tauen diese mit der Zeit auf und lassen uns nicht nur in einem Raum auf Matratzen schlafen, sondern bereiten uns auch noch ein vorzügliches Abendessen mit Nudeln, Gemüse und Brot. Circa 2 Autos passieren diesen Grenzübergang pro Tag, der letzte Radfahrer wurde hier vor über einem Monat gesehen, so wundert es uns nicht, dass sogar eine Tischtennisplatte vorhanden ist und ich auch sogleich zum Mitspielen eingeladen werde.
Den Ausreisestempel im Reisepass, die Thermoskanne mit heißem Wasser gefüllt und raus in den eisigkalten Morgen. Wir queren den eigentlichen „Paso Sico“ (4160m), der durch ein großes Straßenschild gekennzeichnet ist und fahren weiter bergauf, dem „Abra Sico“ (4492m) entgegen.
Es erwartet uns ein unglaublicher Ausblick auf den Salzsee und ganz weit in der Ferne ist der kleine Grenzposten der chilenischen Carabineros zu erkennen. Die Strecke beginnt sich plötzlich in eine ganz üble, sandige, steinige Waschbrettpiste zu verwandeln, sodass ich kaum mehr vorankomme. Zudem fehlt mir auch die nötige Energie, denn obwohl es schon gegen 15 Uhr ist, habe ich mir noch keine Pause für ein Mittagessen gegönnt. Die tiefen Rillen im Boden werfen mich fast aus meinem Sattel, der so nah scheinende Kontrollposten rückt in unerreichbare Ferne. Mit letzter Kraft erreiche ich ihn dann doch noch, Fanny nimmt mir zuvorkommend den Reisepass aus der Hand und erledigt für mich die Formalitäten. Bis zum Campamento „El Laco“ sind es nur noch 10 weitere Kilometer, doch zuvor geht es nochmal kräftig bergauf und dazu weht ein patagonische Wind!
Das Angebot der Carabineros mich mit dem Pickup ans Ziel zu bringen, lehne ich kategorisch ab, schließlich ist es nicht mehr weit… Nach einer Stärkung mache ich mich mit den beiden anderen auf den Weg, doch schon nach wenigen Metern verliere ich sie aus den Augen, rutsche mehrfach von meinen Pedalen ab und blicke hilflos dem Gipfel entgegen. Plötzlich überholt mich der Carabinero-Pickup, der Polizist steigt aus und hievt mein beladenes Rad auf die Ladefläche.
Fast mit Tränen in den Augen fahre ich im Auto an den Franzosen vorbei, ein wirklich schlechtes Gefühl! Trotzdem bin ich meinem „Retter“ unendlich dankbar, der mich bis zum Campamente El Laco bringt, wo ich von den zwei dortigen Arbeitern herzlich empfangen werde. Gemeinsam erwarten wir die Ankunft der beiden tapferen Kämpfer gegen den Wind, die eine dreiviertel Stunde später erschöpft eintreffen. Uns erwartet eine so herzliche Gastfreundschaft, sodass wir wenige Minuten später jeder ein eigenes Zimmer beziehen können, unter heißem Duschwasser stehen, ein „Almuerzo“ unsere Mägen füllt und wir sogar Internetzugang haben. All das mitten im Nirgendwo!!! Es ist unglaublich. Später sitzen wir noch gemeinsam bei „Tomar las onze“ (Schinken, Käse und Toastbrot) zusammen, bevor gegen 21:00 Uhr das Licht gelöscht wird.
Am nächsten Morgen starten wir mit heißem Getränk und Brot mit Wurst im Magen sowie jeder drei Orangen in den Taschen zur Laguna Miscanti. Es erwartet uns ein wunderschöner Tag, der beste von der Landschaft her gesehen. Es geht am „Salar Aguas Calientes“ und hohen Salzbergen vorbei, bis wir nach einem 18km langen Anstieg auf 4.200m Höhe, eine lange Abfahrt genießen dürfen.
Durch mein schwereres Rad bin ich den beiden diesmal bei weitem voraus und warte neben der Straße bis Fanny angeradelt kommt und mir berichtet, dass Yannicks Vorderradgepäckträger gebrochen ist und sie das Gewicht, welches sich in den Taschen befand, nun aufteilen mussten.
Trotzdem will Yannick unbedingt den steilen Anstieg zur Laguna Miscanti in Angriff nehmen und so biegen wir gegen 16:20 Uhr in die Abzweigung ein. Es beginnt das härteste Wegstück unserer Reise, 6km mit 10%iger Steigung auf tiefem Sand mit Wellblech hinauf. Fanny und ich helfen uns gegenseitig, gemeinsam schieben wir zur nächsten Kurve, versuchen wieder ein Stückchen mit dem Rad zu fahren, bevor wir erneut absteigen müssen. Fast am Gipfel angekommen rollt uns Yannick entgegen und hat keine guten Nachrichten: für eine Übernachtung in der Cabana wird von uns jeweils 20.000 chilenische Pesos (ca. 30€) verlangt, Essen können wir auch keines kaufen und die Sonne geht gerade unter, für eine Abfahrt ist es nun zu spät, denn in der Dunkelheit könnte dies gefährliche Konsequenzen nach sich ziehen. So bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Zelte genau vor dem Eingang des Kontrollpostens am Eingang des „Reserva National Los Flamencos“ aufzuschlagen, auf über 4.300m Höhe! Gerade die Zelte aufgebaut kommt uns ein Quad entgegen und der Parkaufseher erklärt uns, dass campieren hier verboten sei. Ich gerate regelrecht in Rage, da kämpfen wir uns über zwei Stunden diesen Berg hinauf, es wird eine unmögliche Summe für die Übernachtung verlangt und nun sollen wir unsere Zelte wieder abbauen?! Nachdem ich dem freundlichen Herrn deutlich vor Augen geführt habe, welche Anstrengungen heute bereits hinter uns liegen und in welcher Lage wir uns befinden, sagt er nur noch knapp und deutlich: „Um 07:00 Uhr müsst ihr morgen früh die Zelte abgebaut haben!“
Wir verbringen unsere kälteste Nacht der Reise. Wie viele Stunden wir davon tatsächlich geschlafen haben, bleibt ein Rätsel und trotz drei Paar Socken (handgestrickt, Angora und Wolle) habe ich Eisfüße. Die Wasserflaschen sind selbst im Zelt gefroren und mein Thermometer zeigt am Morgen, kurz bevor ich mich an den Abstieg mache -9°C ebenfalls im Zelt an!
Zuvor werfe ich aber noch einen Blick auf die tiefblaue Lagune, damit sich der hart erkämpfte Aufstieg am vorigen Tag wenigstens ein wenig gelohnt hat. Alleine radle ich bis Socaire, dem ersten kleinen Örtchen seit San Antonio de los Cobres, Fanny und Yannick treffen dort eine knappe Stunde später ein. Gemeinsam stoßen wir in einer kleinen Cocineria auf den bewältigten Paso Sico an. Das einfache Menü, welches aus einer Gemüsesuppe, Hähnchen mit Reis und einem Apfel als Nachtisch besteht, kommt uns wie ein 5*-Menü vor.
Dann geht es nur noch bergab, zum ersten Mal seit langem höre ich wieder das gleichmäßige Surren des Leerlaufs, welches beweist, dass ich ausnahmsweise mal nicht in die Pedale treten muss und so gelangen wir 50km später nach Toconao, dem zweiten kleinen Ort an diesem Tag. Nach einer kurzen Pause legen wir noch ein paar Kilometer zurück und finden abseits der Straße eine kleine sandige Stelle zum Zelten, unserem letzten Wildcamping bevor wir in San Pedro de Atacama einrollen.
Am nächsten Morgen trennen uns nur noch 35km von dem ersehnten Ziel, schnell den Einreisestempel für Chile abgeholt, den gelben Wisch bei der Aduana (Zoll) abgegeben und schon sind wir da!
8 ½ Tage liegen hinter uns, wir brennen darauf in einen Supermarkt zu kommen und uns mit all den Leckereien, auf die wir in den letzten Tagen verzichten hatten müssen, eindecken zu können, unter einer heißen Dusche zu stehen und endlich mal wieder ins Internet zu schauen. Doch zunächst erleben wir eine pure Enttäuschung. Sämtliche Geschäfte und Touristeninformationen sind geschlossen, denn wie so oft auf meiner Reise kommen wir genau an einem Wochenende an!
Für Yannicks gebrochenen Gepäckträger scheint es erst mal so schnell keine Lösung zu geben, die Hostals sind überteuert, die Stadt von Touristen überbevölkert.
Schlussendlich finden wir in der „Casa del Sol Naciente“, einem sehr einfachen Hostal mit Campingplatz ein billiges Bett. Bald stehe ich auch schon unter einer kalten Dusche, doch das kann mich nach den vergangenen Tagen auch nicht mehr aus der Fassung bringen, ich genieße es einfach den Staub und Schweiß von mir waschen zu können und für die nächsten Tage einmal nicht auf dem Rad zu sitzen.