Ayacucho – Mayocc – Anco – Mariscal Caceres – Huancayo – Jauja – Ricrán – Tarma – La Oroya
Wieder einmal gibt es kein Schild, welches mir den Weg aus der Stadt weisen könnte. Mittlerweile habe ich mich schon daran gewöhnt mir den Weg zu erfragen oder auch an Kreuzungen ohne jegliche Hinweise eine Pause einzulegen, um auf ein Auto zu warten, welches mir weiterhelfen kann. So ist das eben in Peru…
Gegen frühen Mittag erreiche ich „Huanta", eine weitere kleine Stadt, decke mich mit Lebensmitteln ein und rolle anschließend auf den Schotter, der mich für die nächsten Tage nun begleiten soll.
Sobald ich den Stadtverkehr verlasse, wechselt auch die Landschaft und ich darf farbiges Gestein sowie zahlreiche Kakteen bestaunen. Beinahe muss ich mich fragen, ob ich denn schon in Mexiko gelandet bin, denn solch eine Vegetation habe ich nicht erwartet. Die Temperaturen sind ebenfalls dementsprechend heiß.
In Mayocc, dem ersten kleinen Örtchen mitten in der Natur und meinem ersten Schlafplatz, werde ich von einem älteren Ehepaar regelrecht erwartet. Die beiden über 80jährigen besitzen einen kleinen Laden, indem ich mich mit Getränken versorge und mich auf der schattigen Bank ausruhe. Die herzliche Tadea schließt mich sofort in ihre Arme und bestürmt mich mit allerlei Fragen, die ich geduldig beantworte. Humberto, ihr Ehemann, sitzt lachend daneben und hört sich alles an. Wie so oft auf meiner Reise, wenn ich mich in kleinen Orten mitten in der Natur befinde, werde ich mit meinem Fahrrad schnell zur Tagesattraktion und jedermann kommt herbeigelaufen, um zu erfahren, wer denn da eingetroffen ist.
Gemeinsam setzen wir uns mit Plastikstühlchen auf der gegenüberliegenden Straßenseite in den Schatten. Gegen die penetranten „Zancudos“ (beißende Pferdefliegen) bekomme ich Tadea's Strickjacke gereicht.
Plötzlich klingelt das Handy von Humberto, freudestrahlend nimmt er den Anruf entgegen und reicht das Gerät sofort an mich weiter. Etwas erstaunt melde ich mich mit „Hola?“ und bin noch verwunderter, als ich plötzlich mit dem englischsprechenden Sohn „Percy“ in New Jersey verbunden bin.
Der Stolz der beiden neben mir sitzenden Eltern auf ihren Sohn ist kaum zu übersehen, ihre Gesichter strahlen, als wenn sie mit der Sonne weiteifern wollten. Ich dagegen komme aus dem Staunen kaum heraus, mit einem solchen Telefonat hatte ich hier, man könnte fast sagen „am Ende der Welt“, nun wirklich nicht gerechnet.
Mayocc überraschte mich auch am folgenden Morgen.
Gerade hatte ich mich auf mein Rad gesetzt, da kam „Ricky“ um die Ecke…
Ein 21jähriger Engländer, der von Ancash (im Norden Perus) zu Fuß bis nach Machu Picchu wandert. Natürlich gab es viel zu erzählen und so verschob sich meine Abfahrt bis in den späten Vormittag hinein.
Weit komme ich an diesem Tag auch aufgrund der vielen, mich zermürbenden Zancudos, der stechenden Sonne und der schwierig zu befahrenden Route, nicht mehr. Nach 38km ist Schluß, ich erreiche „Anco/La Esmeralda“, kehre ins erste Restaurant ein und lasse mir fast 1 ½ Liter Fruchtsaft schmecken, bevor ich wieder richtig zurück ins Leben kehre.
Eigentlich will ich irgendwo mein Zelt aufstellen und campen, doch finde dazu nicht den geeigneten Platz. Zu viele Kinder interessieren sich für mein Fahrrad, der Fußballplatz ist von Jugendlichen besetzt, die, so wie es den Anschein macht, auch die ganze Nacht dort sein werden und zudem fühle ich mich einfach nur erschöpft und lechze regelrecht nach einer Dusche, die mir all den klebrigen, staubigen Schweiß vom Körper wäscht. Eine Unterkunft muss also her...
Das erste Angebot ist dermaßen verschmutzt, dass ich doch schon wieder an mein Zelt denke, die zweite Möglichkeit geht hingegen einigermaßen. Nach fünf minütigem Wassertest der Dusche, bringe ich mein Gepäck aufs Zimmer und stehe auch schon Sekunden später unter dem eiskalten Wasser. Schon allein für diesen kleinen, erholsamen Moment war es die Unterkunftsuche wert.
Auch der folgende Tag hält Überraschungen für mich bereit. Diesmal in Form andere Radfahrer. Zunächst treffe ich auf den Schweizer, Christoph, welcher vor 14 Monaten in Alaska gestartet ist und nun nach Ushuaia will (http://www.icetofire.ch/).
Kurz darauf radel ich der 63jährigen Französin, Francoise, entgegen. Sieben Monate ist sie bereits von Venezuela in Richtung Süden unterwegs. Ebenfalls mit dem Ziel: Ushuaia (http://www.direction-ushuaia.com/).
Für uns beide ist es das erste Aufeinandertreffen von allein reisenden Frauen, Soloradlerinnen, und dementsprechend viel gibt es auch auszutauschen.
Spät komme ich daher in „Mariscal Caceres“ an, frage im ersten Laden nach einer Campingmöglichkeit und darf für die heutige Nacht im Küchenraum einer Familie zelten. Es ist ein unbewohntes Haus, welches ausschließlich zum Kochen verwendet wird und mir heute als Schlafplatz dient. Der Untergrund besteht aus festgestampftem Lehm und ich habe keine Chance meine Zeltheringe hineinzubohren, weshalb ich meine Zeltschnüre um alle möglichen Gegenstände binde, um es überhaupt aufstellen zu können. Fast der gesamte Raum wird von meinem kleinen Einpersonen-Zelt eingenommen, doch für eine Nacht reicht es aus. Als kurz darauf ein starker Regenschauer über den Ort hineinbricht, freue ich mich umso mehr, einen Platz im Trockenen bekommen zu haben.
Um 06:00 Uhr klopft es andern morgens schon an meine Türe, es will tatsächlich gekocht werden!!!
Ich bitte um 15 Minuten Zeit, um das Zelt abbauen zu können, welches die gesamten Küchengeräte verdeckt und spute mich aus der Küche herauszukommen, um der Familie das Kochen zu ermöglichen. Immer wieder bin ich darüber erstaunt, dass schon in den allerersten Morgenstunden das Feuer entzündet wird, um den Morgenreis zu kochen. Mit 06:00 Uhr hatte ich dann allerdings nicht gerechnet…
Völlig verschlafen schiebe ich mein bepacktes Rad aus dem Haus, danke der gastfreundlichen Familie und muss erst einmal eine Kaffeemöglichkeit suchen, denn in diesem schläfrigen Zustand kann ich kaum Radfahren.
Wenig später sitze ich im Sattel und habe nach gerade einmal sechs Kilometern die erste Panne: mein Hinterrad ist platt.
Ein kleiner Dorn hat sich durch den Mantel in den Schlauch gebohrt und veranlasst mich dazu, das gesamte Rad abzupacken, mein Flickzeug herauszuholen und mich ans Werk zu machen. Am frühen Morgen mit ein wenig Herausforderung verbunden, doch mittlerweile bin ich schon geübter wie zu Anfang. Dabei bemerke ich, dass ich meinen 10.000km doch glatt um einen einzigen Kilometer verpasst habe, der Tacho steht auf: 10.001km.
Doch auch das kann meine Stimmung nicht richtig trüben, ein wenig Stolz erfüllt mich. So bin ich nun schon seit guten 9 Monaten unterwegs und habe es alleine bis nach Peru geschafft. Vor einem Jahr träumte ich noch davon, auf dem Fahrrad durch die Länder Amerikas zu fahren.
Kurz hinter dem Örtchen „Izcuchaca“ erwartet mich nun wieder ein Stück Asphalt. Zugleich aber auch ein steiler Anstieg von insgesamt mehr wie 1.000 Höhenmetern, zahlreichen Serpentinen und Kurven. Vier Stunden kostet es mich, den Gipfel zu erreichen und nach „Huancayo“ hinabrollen zu dürfen.
Wie ich so durch die Straßen der Stadt schlendere und nach einer Unterkunft Ausschau halte, werde ich von einem großen Mann, am Ärmel gezupft und auf ein Glas frischgepressten Orangensaft eingeladen. Wenig später sitze ich mich „Lucho“ und „Jesus“, zwei Tierärzten, plaudernd am Straßenrand, ein Glas des leckeren Saftes in der Hand und werde für den kommenden Tag zum traditionellen „Pachamanca-Essen“ eingeladen. Zum ersten Mal komme ich so in den Genuss dieses peruanischen Nationalgerichtes, welches in einem Erdofen unter Verwendung im Feuer erhitzter Steine zubereitet wird (nach Prä-Inka-Art).
Nach einem Tag Pause mache ich mich auf den Weg nach „Jauja“. Fahre auf autobahnähnlicher Strecke ohne jegliche Steigung immer geradeaus und gelange so schon späten Vormittags an mein Ziel. Auch hier möchte ich einen weiteren Tag verbringen, um mir den Sonntagsmarkt anzusehen. Nach der Hostalsuche begebe ich mich in die Sporthalle, die ich beim Einfahren in die Stadt erspäht habe und schaue mir ein regionales Mädchen-Basketballturnier an. Die Stimmung ist gigantisch und die gesamte Szenerie erinnert mich an meine eigenen Fußballzeiten bei der U17 des VfR Büttgens, daheim. Immer wieder kommt es vor, dass es regelrecht in meinen Füßen kribbelt und ich gerne mal wieder gegen den Ball treten würde, sodass es für mich die reinste Freude war, den begeisterten Mädchen zuschauen zu dürfen.
Am sonntäglichen Marktbesuch erwartet mich der übliche Trubel und eine weitere äußerst angenehme Überraschung. Als ich an einem Essens-Stand kurz verweile, um mich zu erkundigen, was dort genau gefrühstückt wird, denn es ist ausnahmsweise einmal nicht Reis mit Fleisch oder Suppe, werde ich von drei Frauen direkt zum Mitessen eingeladen.
Man erkundigt sich auch nach meiner weiteren Route und prompt werde ich für den folgenden Tag nach „Ricrán“ eingeladen, welches scheinbar auf meinem Weg nach „Tarma“ liegen soll. Nach dem Adressenaustausch schwinge ich mich auf mein Fahrrad und radel zur naheliegenden „Laguna de Paca“. Auf dem Rückweg bekomme ich noch die schöne Gelegenheit ein kleines Dorffest anlässlich „Virgen del Carmen“ erleben zu dürfen. Jede Region hat dabei ihre eigenen traditionellen Kostüme und Masken, was mich immer wieder in Faszination versetzt.
Bei Sonnenuntergang fahre ich zurück zu meinem Hostal, breite meine Karte auf dem Bett aus und suche zunächst verzweifelt „Ricrán“. Nachdem ich es schließlich gefunden habe, stellt sich mir die Frage, ob ich diesen abgeschiedenen, nicht asphaltierten Weg über Schotter tatsächlich einschlagen will. Bis zum Morgen kann ich mich nicht recht entscheiden, doch schließlich überwiegt die Neugier auf das Fest anlässlich „Santa Rosa de Lima“ in mir und ich begebe mich auf den Weg.
Es dauert nicht lange und ich bereue meine Entscheidung zutiefst, die Strecke gestaltet sich als sehr beschwerlich, viel Staub und Schotter begleitet mich, zudem geht es hoch bis auf über 4.000m. Zwischenzeitlich muss ich ein Stück weit schieben, ich fühle mich schwach auf den Beinen und lege öfters Pausen ein. Plötzlich überholt mich ein vollgestopftes Taxi, kreischende Frauenstimmen dringen zu mir durch und ich erblicke „Lily“ und „Francisca“, meine Gastgeber vom vorherigen Tage, die sich ebenfalls auf den Weg nach Ricrán gemacht haben. Ihre Ekstase lässt mich vermuten, dass sie wohl doch nicht mit meinem Erscheinen gerechnet hatten und gibt mir zudem erneute Energie, sodass ich alsbald den Gipfel erreiche und es hinunter rollen lassen kann.
Die gesamte Familie Vicuña empfängt mich herzlichst, als ich mit meinem Fahrrad vor ihre Haustüre fahre. Die folgenden drei Stunden wird gekocht und gequatscht. Mit viel Freude und Gelächter werde ich in eines der traditionellen Kostüme gesteckt, gleich drei Röcke wickelt man um mich herum, bis es mich fast zum Ersticken bringt, meine Haare werden zu zwei Zöpfen verflochten und selbst meine Füße müssen aus den Sportschuhen heraus und in schicke schwarze Sandalen mit Absatz hinein. Wenn schon, dann richtig, auch wenn ich nun kaum noch laufen kann ;-)
Es beginnt eine lustige Fotosession, jeder möchte einmal mit mir abgelichtet werden, bis ich dem ganzen Spektakel Einhalt gebieten muss, um wieder aus den Röcken hinaus zu kommen, mir fehlt ein wenig die Luft zum Atmen.
Gegen 20:00 Uhr geht es dann zur „Plaza“ im Dorf, gemeinsam wird dort mit Alt und Jung die ganze Nacht und auch noch die folgenden 4 Tage getanzt. Dazu spielt eine kleine Liveband, die sich mit einer großen Blasmusikkapelle abwechselt, welche in der Teilnehmeranzahl das gesamte Dorf übertrifft. Als Höhepunkt des Auftaktabends gibt es um 24:00 Uhr ein gigantisches Feuerwerk.
Todmüde laufe ich um 01:30 Uhr zum Haus der Familie Vicuña zurück und rolle meine Isomatte auf dem Lehmboden aus. Ich fühle mich nicht ganz wohl, schlafe dennoch schnell ein und wache andern morgens mit eben diesem schlechten Gefühl in der Magengegend wieder auf. Die anderen Familienmitglieder machen sich auf den Weg zur morgendlichen Messe, ich dagegen lege mich nochmals hin und hoffe, dass es mir danach ein wenig besser geht, doch nachdem alle wieder im Hause sind, stehe ich zwar abfahrbereit vor der Haustüre, bin aber kaum in der Lage nun Fahrrad zu fahren. Zudem will man mich ohne Frühstück unter keinen Umständen einfach so davonradeln lassen, sodass ich kurz darauf mit einer Tasse heißem Kaffee in der Küche sitze. Reis mit Hühnchen kann ich dennoch nicht zu mir nehmen. Im Gegenteil, nach wenigen Schlucken des Kaffees muss ich mich alsbald übergeben und kann es gerade noch rechtzeitig zur Toilette schaffen. Zum Glück geht es mir danach aber viel besser und ich kann mich endlich auf den Weg nach „Tarma“ machen.
Entkräftet darf ich es heute glücklicherweise fast ausschließlich bergab rollen lassen und treffe dann auch wieder auf Asphalt. Die letzten Kilometer nach Tarma treibt mich das entfernte Donnergrollen, in ein Gewitter möchte ich nun wirklich nicht auch noch kommen und so nehme ich das erste Hostal in Tarma, welches ich sehen kann, schaffe es noch meine schmutzige Kleidung in eine Wäscherei zu bringen und verkrieche mich ins Bett.
Abends lässt mich laute Blasmusik noch einmal aufstehen, ein Jungen-Collegio veranstaltet einen bunten Lichterumzug.
Ich muss einen weiteren Ruhetag in Tarma einlegen, bevor es mir wieder besser geht und fahre dann die letzten Kilometer nach „La Oroya“. Wieder geht es über einen 4.100m Pass, bevor ich den Verkehrsknotenpunkt erreiche. Mein Fahrrad lasse ich bei der örtlichen Polizei stehen, packe meinen Rucksack und mache mich im Taxi auf den Weg nach Lima.
Im Dunkeln erreiche ich Perus Millionenhauptstadt und bahne mir den Weg durch das Stadtviertel „Miraflores“ zu einem Hostal.
Hier werde ich nun 10 Tage bleiben, um auf meinen Bruder, Noah, zu warten, der am 10. September per Flugzeug ebenfalls hier eintreffen wird und mit dem die Reise dann gemeinsam bis nach Panama weitergehen wird.
Freudig blicke ich diesem Samstagabend entgegen, wenn ich nach 9 ½ Monaten meinen kleinen Bruder endlich wieder in die Arme schließen kann.