La Oroya – Junin – Cerro de Pasco – Huánuco – Pampas – Nähe Tingo Chico - Huanzala – Carpa – Huaraz
Bevor wir mit den Fahrrädern in die Anden starten können, müssen wir mit dem Bus nach „La Oroya" fahren, um dort mein Fahrrad wieder abzuholen, welches ich bei der Polizei untergestellt habe.
Am 12.08.2011 soll es um 22:30 Uhr über Nacht losgehen. Kaum sind wir jedoch mit unserem gesamten Gepäck am Busterminal eingetroffen, so gibt es die ersten Probleme. Plötzlich will man uns nicht mehr in „La Oroya“ herauslassen, obwohl die Strecke genau über diesen Verkehrsknotenpunkt verläuft, da der Bus scheinbar GPS überwacht sei und es zudem verboten wäre auch nur eine Minute dort anzuhalten. Gezwungenermaßen fahren wir somit nach „Jauja“, welches eine weitere Stunde entfernt liegt, und nehmen von dort einen Pickup zurück nach „La Oroya“. Die lange Busfahrt kostet uns die letzten Nerven und wir kommen völlig erschöpft bei meinem Fahrrad an. Noah geht es mittlerweile auch gesundheitlich wesentlich schlechter, so wie zahlreiche andere Buspassagiere ist ihm die Fahrt auf den Magen geschlagen und er muss sich übergeben.
So suchen wir uns in „La Oroya“ zunächst einmal eine Unterkunft, um uns ein wenig auszuruhen und die Fahrräder für den kommenden Tag abreisefertig zu machen.
Am folgenden Tag sieht die Welt für uns zwei dann tatsächlich gleich viel besser aus, voller Energie starten wir in unsere erste gemeinsame Etappe der kleinen, gut 50km entfernten, Stadt „Junin“ entgegen. Sogleich bekommt Noah auch die Alltagsstrapazen zu spüren, heftiger Lasterverkehr, stetiges bergauf fahren sowie ein kurzweiliger Hagelschauer, erschweren die Reise. In „Junin“ eingetroffen scheint jedoch schon wieder die Sonne vom Himmel, wir ruhen uns ein wenig mit einer erfrischenden Limonade an der Plaza aus, bevor wir uns auf die Suche nach einer Unterkunft begeben. Kaum das Zimmer bezogen, liegt mein kleiner Bruder dann auch schon tief schlafend auf dem Bett, die ersten Kilometer haben ihm Einiges abverlangt.
Der nächste Morgen zeigt sich von seiner schönsten Seite, draußen herrscht richtiges Radelwetter! Die Sonne scheint, kein Windhauch ist zu spüren und somit vergehen die ersten 20 Kilometer auch wie im Fluge. Wir sausen an „Huayra“ vorbei und bewundern die sehr einfallsreich gestaltete Plaza dieses winzigen Örtchens. Eine riesige, violette Glas-„Maca“ ziert das Zentrum. Dabei handelt es sich um eine sehr vitamin- und mineralienreiche Wurzelart, die in den peruanischen Anden in über 3.500 Metern Höhe unter extremen klimatischen Bedingungen angebaut wird. Ihr wird eine allgemeine Steigerung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit nachgesagt.
Uns war diese Knollenart bisher nicht bekannt und so probieren wir eine wenige hundert Meter weiter an einem Straßenstand den für diese Region traditionellen „Maca-Jugo“ (Maca-Saft). Serviert wird uns ein heißes, sehr interessant schmeckendes Mix-Getränk. Nach der Stärkung kann es dann auch sofort weitergehen, der Himmel hat sich derweil zugezogen, dunkle Wolken hängen tief und verkünden ihr Unheil. Nun müssen wir gegen einen starken Wind ankämpfen. Zudem geht es über einen 4.400m hohen Pass bis nach „Cerro de Pasco“, der höchsten Stadt der Welt. Kurz vorm Eintreffen in der Stadt erwischt uns das Unwetter dann doch noch und wir geraten in einen wilden Hagelschauer. Schmerzende Hagelkörner prasseln auf uns nieder, bis wir in einem kleinen Geschäft Unterschlupf finden und uns unterstellen können. Kurz danach sind die uns umgebenden Berge mit leichtem Schnee bedeckt, alles sieht wie „gepudert“ aus und es ist eisigkalt geworden.
Den Abend verbringen wir eingemummelt in dicke Wolldecken im Hostalzimmer und schauen uns die neusten Fußballnachrichten aus aller Welt im Fernsehen an. Ein bisschen fühlen wir uns wie im tiefsten Winter, daheim in Deutschland.
Sechs Kilometer fahren wir am nächsten Morgen zu frühster Stunde aus der Stadt heraus und dürfen darauf eine herrlich lange Abfahrt von über 4.000 Höhenmetern (Hm) hinunter bis auf 1.900 Hm genießen. Einfach rollen lassen!!! So fahren wir aus dem winterlichen Schnee in heißen Sommer hinein, dürfen wieder Bäume am Straßenrand sehen und den Vögeln beim Zwitschern lauschen.
Wir gönnen uns keinerlei Pause und fahren tags darauf gleich weiter in Richtung „Huaraz“, wo wir uns ein wenig länger aufhalten wollen, um dort in der „Cordillera Huayhuash“ trekken zu gehen.
Doch fünf weitere anstrengende Fahrradtage stehen uns bevor. Zunächst geht es einmal steil bergauf bei heißen 34°C einem 4.200m Pass entgegen. Nach 10 Kilometern treffen wir auf ein französisches Radlerpärchen, welches ebenfalls auf dem Weg nach „Huaraz“ ist, doch augenblicklich einen Platten zu beklagen hat. Im späteren Tagesverlauf treffen wir bei unserer Mittagsrast ein weiteres Mal auf die beiden, bevor wir uns durch unterschiedliches Radeltempo wieder aus den Augen verlieren. Nach 40 Kilometern des Anstieges kommt uns auch noch eine große Radlergruppe von fünf Personen entgegen. Gemeinsam sind sie von Trujillo (an der peruanischen Küste) nun auf dem Weg nach Huánuco. Zu später Stunde schlagen wir unser Zelt in einem kleinen Bergdorf namens „Pampas“ auf dem Fußballplatz auf. Von neugierigen Kindern und Jugendlichen umringt, gilt es auf sämtliche Fragen zu antworten, doch sobald es dunkel wird, sind plötzlich alle verschwunden und es kehrt ein wenig Ruhe ein. Später schleichen sich drei der Kinder noch einmal mit einer kleinen Taschenlampe an unser Zeltlager heran und schauen uns beim Kochen zu, bevor sie wieder im Dunkeln verschwinden.
Auch am nächsten Tag treffen wir zur Mittagszeit in einem kleinen Dorf auf drei weitere Fahrradfahrer. Zwei Amerikaner sowie eine Schweizerin sind gemeinsam nach Süden unterwegs (http://www.volksonbikes.blogspot.com/). Ein netter, kleiner Plausch bei Fisch und Reis und jeder fährt wieder seiner Wege. Innerhalb der letzten zwei Tage, sind wir somit auf 10 weitere Radler getroffen, ein absoluter Rekord!
In „Huanzala“ kommen wir am folgenden Tag bei strömendem Regen an. Eine lange Steigung führt uns bis auf 4.000m hinauf in dieses ausgesprochen hässlich erscheinende Minenarbeiterdorf. Bei der Polizeistation fragen wir nach einer Schlafmöglichkeit und werden zunächst mit einer sehr abweisenden Gegenfrage konfrontiert: „Habt ihr kein Zelt?“. Etwas entsetzt bleibe ich dennoch hartnäckig und vor Kälte zitternd in der Eingangstüre stehen, gebe brav Antworten auf einen nicht enden wollenden Fragenkatalog und habe schlussendlich Erfolg. Wir bekommen ein kleines Zimmer zugewiesen und dürfen unsere Isomatten ausrollen. Im Verlaufe des Abends ändert sich die Mentalität des Beamten und wir bekommen eine Mandarine, Banane und Kekse geschenkt. Zudem sitzen wir später gemeinsam vor einem Film („Robocob“) und teilen uns eine Schüssel mit „Arroz Chaufa“ (Art chinesischer Reispfanne), die der Polizist uns aus einem Restaurant besorgt hat. Auf Touristen, bzw. andere Personen, wie die Arbeiter der Minen und die Polizeibeamten, scheint man hier nicht eingestellt zu sein, denn es wird uns verwehrt Essen einzukaufen.
Unsere Kleidung trocknet auch über Nacht nicht und so müssen wir uns am Morgen ohne Radlerhose auf die Räder schwingen. Ein Serpentinenpass empfängt uns, Kurve für Kurve schrauben wir uns in die Höhe. Von 12°C kühlt es auf 0°C herab, von Asphalt müssen wir auf Schotter einbiegen und plötzlich fängt es auch noch an zu schneien. Gleich zwei Pässe von 4.800m müssen wir an diesem Tag überwinden, durch die schwierigen Bedingungen legen wir einen Großteil davon schiebend zurück und verlieren dadurch jede Menge wertvolle Zeit. Mitten im Augenblick des starken Schneetreibens, wir befinden uns gerade kurz vor dem zweiten Pass, treffen wir auf zwei Einheimische mit einem Motorrad. Zufällig handelt es sich dabei um die Aufseher des Nationalparks „Huascaran“, welche in „Carpa“ stationiert sind. Weitere „10km bergauf und dann 20km bergab“ müssten wir durchhalten, dann hätten sie ein Bett für uns in „Carpa“ zur Verfügung.
Beide schon längst an unserer Leistungsgrenze angekommen, gibt uns diese Auskunft noch einmal erneute Motivation und die Fahrräder lassen sich gleich viel leichter durch den matschigen Schotter schieben. Die Landschaft können wir zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich genießen, die unmittelbar nahen Gletscher verstecken sich in dichtem Grau und unsere gesamte Aufmerksamkeit gilt der Piste, die sich von Sekunde zu Sekunde mit dem anhaltenden Schneetreiben zu unseren Ungunsten verschlechtert.
Irgendwann geht es dann tatsächlich bergab, auch der zweite Pass liegt hinter uns, und wenig später trauen wir unseren Augen kaum, als wir zwei aufgeschlagene Zelte und vier daneben liegende Fahrräder erkennen. Darunter Doro und Natzky ,ein deutsches Pärchen auf dem Weg von Venezuela nach Ushuaia (http://www.4-raeder.blogspot.com/). Als die beiden mich mit: „Du musst doch Swinde sein?!“ begrüßen, ist die Verwunderung meinerseits perfekt. Ein kurzer Austausch bei leckerem, heißen Tee, der uns beiden Durchgefrorenen gereicht wird, gibt Aufschluss über des Rätsels Lösung. Die beiden haben zur Vorbereitung ihrer Reise meinen Blog gelesen und mich an meinem froschgrünen Fahrrad erkannt!
Wir werden eingeladen, uns zu ihnen zu gesellen und unser Zelt nebenan aufzuschlagen, doch wir entschließen uns zur Weiterfahrt, da uns Wasser zum Kochen fehlt, unser Zelt vom Vortag immer noch nass ist und eine Nacht in dieser Höhe nicht gerade zum Bleiben einlädt. Zudem haben wir immer noch das Angebot der beiden Motorradfahrer im Hinterkopf und freuen uns insgeheim schon auf ein warmes Bett...
Doch es ist schon 17:10 Uhr und natürlich schaffen wir es vor dem Eintreffen der Dunkelheit nicht, die noch 18 Kilometer lange Strecke bis nach „Carpa“ zurückzulegen. Die letzten sechs Kilometer müssen wir im Lichte unserer Stirnlampen bewältigen, der Pistenzustand verschlechtert sich dramatisch, sodass wir nur sehr langsam vorwärts kommen, obwohl es bergab geht und Noah wirft es durch eine Hundeattacke in den Straßengraben.
Angeleuchtet von zwei riesigen Scheinwerferkegeln kommen wir erschöpft in „Carpa“ an. Unsere beiden Motorradfahrer, die wir am Nachmittag am Pass getroffen hatten, erkennen uns sofort und geleiten uns in ein Haus, in welchem vier Betten stehen und wir es uns für diese Nacht bequem machen dürfen. Auf 4.100m Höhe wird es auf einmal richtig kalt und wir sind doch noch froh, die knappen 20 Kilometer hinuntergerollt zu sein und nun in einem warmen Bett liegen zu dürfen.
Nach „Huaraz“ sind es nun nur noch 60 Kilometer und am Morgen empfängt uns schönster blauer Himmel mit Sonnenschein. Endlich dürfen wir den Nationalpark so richtig genießen, sehen die schneebedeckten Berge in der Ferne glitzern und fahren an einer Lagune vorbei. In „Catac“ frühstücken wir erst einmal richtig mit Kaffee und Brot mit Ei, bevor wir nach „Huaraz“ einfahren.
Jetzt gilt es die Vorbereitungen für die Wanderung in der „Cordillera Huayhuash“ zu treffen. Für 10 Tage wollen wir Abschied von unseren Fahrradsätteln nehmen und uns mit Trekkingstöcken bewaffnet in die Berge begeben.
Mal sehen, was unsere Beine dazu sagen werden?!