Huaraz – Caraz – Huarichiri – Chuquicara – Sacaycocha – Pallasca – Mollebamba – Huamachuco – Cajabamba – San Marcos – Cajamarca – Cruzconga – Balsas – Leymebamba – Tingo Nuevo – Chachapoyas
Einen Tag Pause, mehr Zeit haben wir nicht, um unseren Körpern ein wenig Zeit zur Regeneration zu geben, bevor wir uns nach 10 Tagen des Wanderns wieder auf unsere Fahrräder schwingen werden.
Der Tag beginnt mit einem hervorragenden Frühstück auf der Dachterrasse des Hostals, in Begleitung von zwei sehr netten Gästen aus Eichstätt, den beiden Motorradfahrern, Elisabeth und Rupert. Mit zwei KTM-Maschinen bereisen die beiden seit gut 26 Monaten ganz Südamerika und befinden sich im Augenblick ebenfalls auf dem Weg nach Norden. Es wird gequatscht und gelacht, später steht vor jedem von uns sogar noch ein Teller hausgemachter Kartoffelsalat mit Würstchen, den Elisabeth zubereitet hat und so fühlen wir uns schon fast wie zu Hause in Deutschland. Ein Ruhetag zum Genießen!
Am nächsten Morgen heißt es dann aber: Kette ölen, Reifen aufpumpen und los geht's.
Die „Cordillera Blanca" zeigt sich von ihrer schönsten Seite und wir radeln mit Blick auf die schneebedeckten Berge, beide noch völlig in Gedanken versunken, unserem nächsten Ziel entgegen, der Stadt „Caraz“. Am Nachmittag plagt uns ein heftiger Gegenwind, der die letzten 20km zur Qual werden lässt, doch in „Caraz“ finden wir schnell ein schönes Hostal und verbringen den Abend mit Pfannkuchen backen.
Es folgt der spektakuläre „Cañon del Pato“ (Entenschlucht). Auf staubigem Schotter führt die Straße durch zahlreiche Felstunnel (ca. 40 Stück) hindurch und unmittelbar am Abhang zum „Rio Santa“ entlang. Teilweise meint man, die gegenüberliegende Felswand durch ein bloßes Ausstrecken des Armes berühren zu können. Durch die finstere Dunkelheit der Tunnel hilft uns die eingeschaltete Stirnlampe, die einen winzigen Lichtkegel auf den Boden wirft und so ein gefahrloses Vorankommen gewährleistet. Allein die großen LKW’s, die beim Vorbeifahren jedes Mal eine Unmenge an Staub aufwirbeln und uns von Kopf bis Fuß einpudern, trüben unsere Radelfreude ein wenig.
Wenig später treffen wir auf den Engländer Robert, der ebenfalls mit seinem Fahrrad unterwegs ist, allerdings in entgegengesetzter Richtung und erkundigen uns nach dem weiteren Weg nach „Chuquicara“. Wir sind spät dran, zudem müssen wir erneut gegen heftigen Gegenwind antreten und als ich keine 100m, nachdem wir uns von Robert verabschiedet haben, in meinem hinteren Reifen einen Platten bekomme, steht fest, dass wir es nach der Reparatur nur noch zur nächstmöglichen Campgelegenheit schaffen werden. So schlagen wir keine halbe Stunde später das Zelt unter zahlreichen, neugierigen Kinderaugen, hinter einem Straßenrestaurant auf und dürfen uns den ganzen Abend über Besucher freuen, da wir auf dem direkten Weg zu den Toilettenanlagen stehen.
In Schweiß gebadet verbringt Noah eine unruhige Nacht neben mir und wacht am Morgen mit Erbrechen und Durchfall wieder auf. Doch der Ort, an dem wir uns befinden, ist überaus ungünstig, um einen Tag Pause einlegen zu können und so brechen wir gezwungenermaßen auf. Für die ersten 10km benötigen wir geschlagene 2 ½ Stunden, die Strecke bleibt, wie schon am Vortag, aufgrund von großen Steinen schwer befahrbar, führt weiterhin durch mehrere Tunnel und schon bald erschwert uns die gnadenlos vom Himmel scheinende Sonne noch zusätzlich die Fahrt. Bei diesen Strapazen mit quälenden Bauchschmerzen und Magen-/Darmproblemen auf dem Fahrrad zu sitzen ist bei Leibe kein Vergnügen und so muss Noah, nach wenigen Kilometern einsehen, dass es heute keinen Sinn für ihn macht, weiterzufahren.
Kurz darauf fährt ein Pickup an mir vorbei, ich stelle mich ihm demonstrativ in den Weg, sodass er zum Anhalten gezwungen ist und bitte den Fahrer, Noah samt Rad bis zum nächstgelegenen Ort mitzunehmen. Keine Minute später winke ich dem Fahrzeug hinter her und stehe plötzlich alleine auf dem Weg. Erst viel später fällt mir ein, dass Noah nun ohne jeden Cent in der Tasche und ich dagegen ohne Werkzeug unterwegs bin. Gegen Mittag kämpfe ich abermals gegen starken Gegenwind, doch die Sorge um meinen kleinen Bruder, treibt mich weiter voran, an einem Straßenladen fülle ich den Wasservorrat wieder auf, stecke mir einen Schokoladenriegel zwischen die Zähne und fahre ohne dass ich überhaupt vom Rad abgestiegen bin, weiter.
Zwei Kilometer, bevor ich „Chuquicara“ erreiche, treffe ich am Fluss auf zwei weitere Fahrradfahrer, die mir berichten, dass Noah sich auf einer Holzbank am Straßenrand niedergelegt hat und es ihm, den Umständen entsprechend, soweit gut gehe. Gerade will ich mich wieder in den Sattel schwingen, da kommen zwei Motorradfahrer um die Ecke gefahren und tatsächlich: es sind die beiden Eichstätter Rupert und Elisabeth! Wenig später können wir uns davon überzeugen, dass es Noah schon wieder erheblich besser geht und halten zu viert eine verspätete Brotzeit mit leckerem Käse.
Trotzdem steht es außer Frage, anschließend noch weiterzufahren und so verabschieden wir uns ein weiteres Mal von den beiden Motorradfahrern, die es nun weiter an die peruanische Küste zieht und suchen uns im Schutze der Tankstelle ein halbwegs windgeschütztes Fleckchen.
Gestärkt brechen wir am frühen Morgen bei leichtem Regen, mit heißem Tee und ein paar Keksen im Magen wieder auf. Stetig führt die Straße bergauf, die Temperatur steigt über 30°C und wir fahren durch wüstenartige Landschaft, durchsetzt von kahlen Steinen, Felsen und Kakteen. Im Fluss können wir mehrere Goldsucher erblicken, neben der Straße wird dagegen Kohle abgebaut. Die Menschen, die diese Arbeit verrichten sind nur bei genauerem Hinsehen überhaupt zu erkennen, eine dicke, pechschwarze Kohleschicht überdeckt ihren gesamten Körper und nur um die Augen blitzt für ein paar Zentimeter die ursprüngliche, hellere, sonnengegerbte Haut hervor. „Was mögen sie bloß von uns beiden Radfahrern denken, wenn wir mit offenen Mündern staunend, an ihnen vorbeifahren?“
Allmählich verlieren wir wieder an Höhe, fahren in ein Tal hinab und entdecken Bananenstauden am Straßenrand. Wenig später, können wir auch sogleich ein paar dieser leckeren Energiespender, zu einem sensationellen Preis von 25 Cent für 15 Stück! ergattern.
Energie brauchen wir für den kommenden Anstieg reichlich, doch gegen 15 Uhr haben wir den Ausgangspunkt immer noch nicht erreicht, Noah fühlt sich noch ein wenig schlapp aus den vergangenen Tagen und am Himmel braut sich eindeutig ein Unwetter zusammen. Gründe genug, um nach einem geeigneten Zeltplatz zu suchen, den wir auch diesmal recht schnell vor einem Restaurant finden.
Kräftiges Hahnengeschrei reißt uns früh aus dem Schlaf und ich brauche keine fünf Minuten, um zu merken, dass heute etwas mit meinem Magen nicht stimmt. Es scheint gerade so, als dass uns das ständige Reis mit Hähnchen-Gemisch nicht nur „zum Halse heraus hängt“, sondern nun auch auf die Gesundheit schlägt. Trotzdem müssen wir weiter, was sollen wir auch an solch einem menschenverlassenen Ort anfangen, an dem wir uns augenblicklich befinden?
Folglich treten wir beide kräftig in die Pedale und kommen doch nicht weit... Der Anstieg erweist sich als besonders steil, die Hitze macht uns schwer zu schaffen und so schieben wir die Räder vor uns her, Kilometer für Kilometer. Uns beiden fehlt die notwendige Energie für diese kraftvolle Arbeit und als ich vom Standpunkt einer Serpentinenkurve weiter unten einen Bauarbeitertruck erblicke, lege ich mein Fahrrad einfach auf die Seite, setze mich daneben und warte ab. Tatsächlich dürfen wir, nach einigem Verhandeln, aufladen. Eigentlich ist es Mitarbeitern der Firma untersagt, fremde Personen auf der Ladefläche mitzunehmen, doch für uns wird dankenswerter Weise eine Ausnahme gemacht. Mit Höchstgeschwindigkeit brettert der Fahrer dann über die schlechte Piste, für uns beide wird ein Alptraum wahr. Mindestens 20km lang schraubt er uns jedoch in die Höhe und als wir endlich den Gipfel erreicht haben, die Fahrräder ausgeladen sind und der Truck aus unserer Sichtweite verschwindet, sinke ich völlig entkräftet und mit Schwindel vor Augen nieder. 30 Minuten lang liege ich regungslos am Straßenrand, bevor ich die Kraft finde, mich wieder aufzurichten. Bis zur „Plaza“ sind es nun nur noch 500m, allerdings, wie nicht anders zu erwarten, steil bergauf, sodass wir eine weitere halbe Stunde benötigen, nur um das Zentrum zu erreichen. Wir setzen uns erschöpft auf die Parkbank und starren zunächst ein wenig ratlos in die Gegend, vielleicht haben wir uns mit der bevorstehenden Strecke tatsächlich ein wenig übernommen?! Im Augenblick zumindest sind wir selbst zu schwach, um unseren Gedanken Ausdruck zu verleihen, erst viel später stellen wir fest, dass wir beide in diesen stillen Momenten genau an dasselbe gedacht haben.
Ein 14-Stunden-Schlaf bringt uns am folgenden Tag wieder auf die Beine, die Sonne scheint, wir frühstücken an der schönen Plaza von „Pallasca“ und schon geht es uns beiden wieder viel besser, wie noch wenige Stunden zuvor.
21 km dürfen wir nun zum Fluss hinabrollen, doch schon von weitem können wir den serpentinenreichen Anstieg auf der gegenüberliegenden Seite erkennen. Wir erträumen uns eine Brücke, welche uns auf die andere Seite bringt und die zahlreichen, im scharfen Zick Zack geführten Kurven überflüssig werden lässt. Unten angekommen finden wir allerdings nur eine winzige, provisorisch errichtete Holzbrücke vor, bevor sich der Anstieg in die Höhe schraubt. Drei Stunden lang kämpfen wir uns ganz alleine den schmalen, staubigen Schotterpfad hinauf, uns begegnet kein einziges Fahrzeug, geschweige denn ein menschliches Wesen. Kurz hinter dem Gipfel befindet sich der Ort „Mollepata“, wo wir uns zu einer Mittagspause niederlassen und auf einer Holzbank leckere Käsebrote mit Tomaten verspeisen. Wie immer finden sich auch sogleich einige Dorfbewohner zusammen, löchern uns mit Fragen und verdeutlichen uns, dass der Anstieg noch einige Kilometer weiter geht. Schnell schwingen wir uns daher auf die Räder, wollen noch ein wenig Strecke vor dem Abenddunkeln zurücklegen und erreichen kurz vor Einbruch der Dunkelheit ein weiteres, kleines Bergdorf namens „Mollebamba“. Hier campieren wir hinter einem Schulgebäude, welches sich gerade in Bau befindet und dürfen zur Belohnung für all die Strapazen einen herrlichen, pinkfarbenen Abendhimmel bestaunen.
Auch am folgenden Tag arbeiten wir uns durch eine sandige, mit Steinen durchsetze Piste, welche ausschließlich weiter bergauf führt. Der Steigungsgradient ist dieses Mal dermaßen hoch und die Untergrundbeschaffenheit lässt absolut zu wünschen übrig, sodass uns nichts anderes bleibt, wie: schieben! Meine Gemütslaune sinkt dagegen in den Keller, die Aussagen anderer Radler, vor allem auch in Bezug auf die angegebenen Kilometer stimmen in keiner Weise mit unseren gemessenen Tachoangaben überein und es scheint so, dass wir uns auch die gesamte kommende Woche durch diesen Bergkamm schlagen müssen. Im nächsten kleinen Örtchen „Tulpo“ fasse ich den Entschluss auf einen Bus zu warten, der uns zumindest ein wenig aus dieser Gegend hilft. Keine 15 Minuten müssen wir am Straßenrand verharren, da hält auch schon ein solcher vor unseren Augen und wir können, nachdem die Fahrräder auf dem Dachgepäckträger verstaut sind und auch das restliche Gepäck einen Platz gefunden hat, einsteigen. Die folgenden Stunden verbringen wir bei geschlossenen Fenstern, auf den alten Ledersitzen schwitzend, im Fahrzeug. Die anderen einheimischen Fahrgäste dagegen tragen zu unserem größten Erstaunen auch noch Wollpullover und Daunenjacken dazu. Geschlagene sechs Stunden benötigen wir, um bis nach „Shorey“ zu gelangen, einem Verkehrsknotenpunkt, an dem uns die örtliche Polizei hilft, einen Anschlussbus nach „Huamachuco“ zu bekommen. Dieses Mal dauert es nicht einmal zehn Minuten, da sitzen wir auch schon in einem großen Reisebus, alle Plätze sind besetzt und so dürfen wir es uns im Führerhäuschen neben dem Busfahrer und seinem Helfer bequem machen. Spät am Abend, längst hat sich die Dunkelheit über die Erde gelegt, kommen wir in der Stadt an, suchen uns ein Hostal und verschlingen zusammen eine gesamte Familienpizza. Niemals hätten wir uns am frühen Morgen träumen lassen, die kommende Nacht in einem weichen Hostalbett zu verbringen und zuvor unter einer heißen Dusche gestanden zu haben. Die nahezu ganztägige Busfahrt hat uns sicherlich vier Tage schwerste Radelarbeit abgenommen, wobei wir wenig Strecke zurückgelegt haben, es dafür aber durch anstrengendes Gelände ging.
Endlich einmal klingelt uns kein Wecker und kein Hahnengeschrei aus dem Schlaf. Gemütlich stehen wir auf, packen unsere Sachen, unterziehen der Fahrradkette einer gründlichen Reinigung und genießen ein leckeres Frühstück inklusive einer heißen Schokolade in einem Café.
Frisch gestärkt brechen wir gegen Mittag auf, bahnen uns den Weg hügelig um Berghänge herum und gelangen zur Lagune „Sausacocha“, an der wir uns zum Forelle-Essen niederlassen. Der Fisch schmeckt ausgezeichnet und nach dieser willkommenen Pausenstärkung geht es auch gleich viel leichter voran. Fünf Kilometer bevor wir unser Tagesziel, die Stadt „Cajabamba“ erreichen, winken uns von der Straße aus einige Fußballspieler zu und wünschen, dass Noah einen Elfmeter schießen soll. Nur zu gerne erklärt er sich bereit diese verantwortungsvolle Aufgabe auf sich zu nehmen und plötzlich sind wir beide mitten in ein Spiel verwickelt. Schnell werden zwei Mannschaften aufgestellt, unsere Räder lehnen derweil an einer Hauswand und wir flitzen über das Spielfeld. Von groß bis klein, ein jeder kann hier mitspielen und wird herzlich empfangen. Eine halbe Stunde lang spielen wir mit den Peruanern Fußball, die, als wir uns schon wieder zum Gehen wenden wollen, noch auf einen Seitenwechsel bestehen. 5:2 siegt unser Team schlussendlich, wir knipsen schnell das Gruppenfoto und machen uns auf den Weg in die Stadt, denn allmählich beginnt es dunkel zu werden. Später folgen wir der Einladung eines älteren Fußballspielers und sitzen gemütlich bei Tee, Keksen und gerösteten Bohnen zusammen. Die Familie empfängt uns mit offenen Herzen und wir können regelrecht den Stolz in ihren Augen ablesen, dass sie heute ausländische Gäste in ihrem Hause bewirten dürfen.
Zwei Tage benötigen wir, um nach „Cajamarca“ zu gelangen, in einem Tal schlägt uns die Hitze mit 37°C förmlich entgegen. Da kommt es gerade recht, dass die Stadt für ihr selbstgemachtes Eis bekannt ist, welches tatsächlich hervorragend schmeckt. Cajamarca gefällt uns auch von der architektonischen Sichtweite besonders gut, überall sind schöne Kirchenbauten zu entdecken und während wir durch die Straßen schlendern, stolpern wir regelrecht über ein Theaterspiel anlässlich des 30jährigen Bestehens des örtlichen Theaters.
Nach der Stadt steht uns wieder ein nicht enden wollender Pass bevor. Bis in den späten Nachmittag hinein fahren wir dem Gipfel entgegen, erreichen ihn um 16:30 Uhr und müssen erst einmal eine verspätete Mittagspause einlegen, obwohl es sich am Himmel zuzieht und der Wind schlagartig erheblich auffrischt. Wir rollen noch wenige Kilometer hinab, dürfen abermals eine knallig pinke Himmelsfärbung bewundern, die völlig unrealistisch, eher wie gemalt aussieht und stehen ein wenig hilflos in „Cruzconga“, einem winzigen Milchdorf in den Bergen. Gerade wollen wir nach einer geeigneten Stelle für unser Zelt fragen, da werden wir von „Maritza“ und ihrer Familie zum Übernachten in ihr Haus eingeladen und verbringen die Nacht in einem eigenen Zimmer im Doppelbett.
Am Morgen dürfen wir sogleich einen Schluck der frischen, noch warmen Kuhmilch probieren und stehen staunend vor den großen, alten, silbernen Milchkannen, die bei uns wahrscheinlich nur noch im Museum zu finden sind. Groß prangt das „Nestle“ Markenzeichen über der Milchstation sowie auf jeder der Blechkannen. Der riesige Konzern ist somit auch hier, in dem verstecktesten Bergdorf Perus zu finden.
Herrliche 35km dürfen wir nun bergab nach „Celendin“ rollen, wo wir eine kurze Pause einlegen und den leckersten Zitronenkuchen essen, der uns je unter die Gabel gekommen ist. Mit großer Freude schreibt uns der Caféinhaber das Hausrezept auf einen Zettel, den er freudestrahlend seinen neuen beiden Freunden: Noah und Swinde, übergibt („Con mucho cariño para mis amigos“).
Nach einem weiteren Anstieg von 11km stürzt die Straße dann steil zum Fluss bergab. Von 3000 Metern Höhe rollen wir auf nur noch 900m hinab. Mit jedem weiteren verlorenen Höhenmeter nimmt es an Wärme zu, um uns herum wandelt sich das Landschaftsbild rasant von tiefgrün bewachsenen Berghängen zu Steinfelsen mit Kakteenbewuchs. In „Balsas“ angekommen, finden wir schnell ein Zimmer in der einzigen Hospedaje des Dorfes und springen mit Freude unter die eiskalte Dusche. Später am Abend spielt vor unserer Unterkunft eine Live-Band, unterbrochen von Abschnitten, in denen Geschichten erzählt werden. Gespannt lauschen fünfzehn Zuhörer auf kleinen Holzbänken sitzend, der Gruppe und auch wir bleiben bis zum guten Schluss.
In der Nacht bekomme ich kaum ein Auge zu, die Hitze ist nahezu unerträglich. Wir befinden uns genau in einem Tal am „Rio Marañón“, dem größten Quellfluss des Amazonas. Ein brutaler Anstieg bis auf 3600 Meter steht uns bevor, doch wir haben uns schon am Vorabend dazu entschlossen, auf eine Mitfahrgelegenheit zu warten. Denn getreu dem Buch „Bleib auf deinem Weg, Die Weisheit eines alten Indianers“ von Joseph M. Marshall befolgen wir den Rat:
„[Du wirst sehen], dass es in dir neben dem Willen zu gewinnen auch die Bereitschaft zu verlieren gibt, anzuhalten wenn der Hügel zu steil zu sein scheint, wenn der Weg zu eng und zu uneben wird.“
Die Erschöpfung der letzten Tage ist uns förmlich noch ins Gesicht geschrieben und wie wir so auf einer Betonmauer sitzen, auf ein Fahrzeug warten und lesen, kommt Noah gerade dieser Satz unter die Augen. Einen passenderen Ausspruch hätte es für diese Situation nicht geben können, beide können wir uns kaum halten vor Lachen.
Schon bald können wir auch den ersten LKW stoppen, der Richtung Gipfel fährt, ein freundlich scheinender Mann erkundigt sich nach unserem Anliegen und der Reise und ich habe ein gutes Gefühl, dass wir schnell aufladen dürfen und bald oben sind. Doch weit gefehlt, plötzlich drückt der Fahrer das Gaspedal herunter, lässt uns mit vor Staunen weit geöffneten Mündern zurück und verschwindet laut lachend hinter der nächsten Kurve. Eine seltsame Art mit uns zu kommunizieren, wie wir finden, doch selbst dieser merkwürdige Zwischenfall bringt uns nicht aus der Ruhe und mit dem nächsten LKW, einem Milchtransporter dürfen wir dann tatsächlich mitfahren.
Geschlagene vier Stunden später befinden wir uns am Ziel unserer Träume, laden die Räder herunter, ziehen uns die Jacken über und dürfen nach „Leymebamba“ hinabrollen, einer Kleinstadt in der peruanischen Provinz Chachapoyas. Hier besuchen wir das örtliche Museum und sind überrascht eine sehr moderne Anlage aus dem Jahre 2000 vorzufinden. Im Inneren sind die jeweiligen archäologischen Objekte sogar mit deutschen Untertiteln versehen. Interessiert schauen wir auf die mehr als 200 Chachapoya-Inka Mumien, welche 1996 an der „Laguna de los Cóndores“ gefunden wurden. Niemals zuvor haben wir derartige Mumien sehen dürfen, ein unvergessliches Erlebnis.
Im leichten Nieselregen fahren wir anschließend weiter am „Rio Utcubamba“ entlang, abermals in herrlich grüner Landschaft. In „Tingo Nuevo“ suchen wir uns eine Hospedaje und können dem nicht enden wollenden Regen zumindest auf diese Weise für kurze Zeit entfliehen.
Eine kleine Busfahrt von hier entfernt, liegt der Ruinenkomplex „Kuelap“, eine ehemalige Dorffestung der Chachapoyas und nach Machu Picchu eine der bedeutendsten historischen Stätte in den Anden.
Vergeblich warten wir jedoch um 05:00 Uhr morgens auf den Bus, der uns auf 3000 Meter Höhe nach Kuelap bringen soll. Eine Stunde stehen wir im leichten Regen, bevor wir die Geduld verlieren und uns wieder zurück ins warme Hostalbett begeben. Wir legen uns noch ein wenig schlafen, schwingen uns kurz darauf, etwas enttäuscht, auf die Fahrräder und fahren weiter nach „Chachapoyas“.
Gerade dort eingetroffen, stoßen wir auf die beiden Motorradfahrer, Chris und Anna, die von Kanada aus Richtung Süden nach Buenos Aires fahren. Gemeinsam planen wir einen Ruhetag inklusive einer Besichtigung zweier weiterer Begräbnisstätten der Chachapoya-Kultur: „Karajia“ sowie „Pueblo de los muertos“.
An einer Felswand, die sich etwa dreihundert Meter unterhalb des Dorfes befindet, sind auf halber Höhe mehrere Sarkophage zu sehen. Im Hohlraum der mit Terrakotta-Farben bemalten Tongefäße sind Mumien hoher Würdeträger, die in Tüchern und Fellen eingewickelt in der typischen Hockstellung sitzen. Fasziniert betrachten wir die Tonfiguren, die hoch über uns in der Felswand stehen und ein irrealistisches Bild angeben.
Auf den Spuren der Chachapoyas-Kultur. Für uns ein wahrhaftig interessanter Eindruck.