Medellin – Santa Rosa de Osos – Valdivia – El Jardin – Planeta Rica – Sincelejo – Mompós – San Onofre – Cartagena
Nach nur 2 Tagen des Zusammenseins mit unseren Eltern machen Noah und ich uns wieder auf den Weg. Der Abschied nach dem Frühstück fällt trotz des Wissens, sie ganz in der Nähe zu haben und bald wieder zu sehen, schwer. Hinzu kommt, dass wir alle mit ein wenig mit Magenproblemen zu kämpfen haben, wobei wir am Vorabend doch selber gekocht haben…
Der unübersichtliche Stadtverkehr und die fehlende Beschilderung vertreiben schnell alle anderen Gedanken, denn es gilt sich auf die richtige Ausfahrtstraße zu konzentrieren. Keine einfache Angelegenheit, die auch erst nach 37 zurückgelegten Kilometern abgeschlossen ist. Gleichzeitig endet nun auch das Tal. Die flache Strecke ist somit vorüber und es gilt einen heftigen Anstieg zu bewältigen. Stolze 1816 Höhenmeter fahren wir an diesem Tag innerhalb einer Strecke von 82 km und einer Fahrzeit von über 7 Stunden bergauf. In einem kleinen Ort bekommen wir Hilfe von einem Jungen. Zunächst schiebt er Noah ein Stück weit den Berg hinauf, wenig später dreht er sich um und kommt auch mir zu Hilfe. Die körperliche Arbeit spüren wir am späten Abend deutlich in den schweren Beinen. Gleich fünf Regenschauer prasseln an diesem Tag auf uns nieder. Ohne Vorankündigung geht es innerhalb von 30 Sekunden los, sodass wir keine Möglichkeit zur Suche eines Unterstellplatzes haben und ausgerechnet zwei Kilometer vor dem Eintreffen in „Santa Rosa de Osos", dem heutigen Tagesziel, werden wir noch einmal bis auf die Knochen durchnässt.
Die Nacht verbringen wir im allerkleinsten Zimmer, höchstwahrscheinlich des gesamten Ortes. Ein schmales Doppelbett bildet das gesamte Mobiliar. Eine Tür für die Toilette gibt es nicht, nur ein dünner Plastikvorhang baumelt vor der sanitären Anlage, die zudem keine 30 Zentimeter vom Kopfe des Bettes entfernt ist. Unsere zahlreichen Fahrradpacktaschen deponieren wir übereinander gestapelt entlang der Bettkante, einen Durchgang gibt es kaum mehr und an ein Trocknen, der vor Regen triefenden Sachen, ist in diesem fensterlosen Abstellraum gar nicht zu denken.
Als Belohnung für diesen anstrengenden, ereignisreichen Tag können wir am Abend in eine Scheibe knusprig, kerniges Schwarzbrot aus Deutschland beißen. Ein Mitbringsel meiner Eltern, nach welchem ich mich schon über ein Jahr herzhaft gesehnt habe.
Den folgenden Morgen beginnen wir mit einer Spezialität der hiesigen Region: „Pan de Queso caliente“ (in noch warmen Brotteig befindet sich zerschmolzener Käse). Strahlender Sonnenschein für die erste Stunde lässt uns reichlich Strecke durch die hügelige Landschaft machen. Nachdem wir auf 2600 Meter Höhe angelangt sind, dürfen wir nach „Yarumal“ hinabrollen. Ein erneuter einstündiger Regenschauer lässt uns die Mittagspause an einer Raststätte verbringen. Während ich in einem Buch lese, schöpft Noah durch einen kurzen Mittagsschlaf Kraft, für die zweite Tageshälfte. Vorbei geht es nun an einigen Militärkontrollen, die eindrucksvoll mit Panzern am Straßenrand ihre Präsenz zeigen, „Valdivia“ entgegen.
Der Aufbruch am nächsten Morgen verspätet sich, zu meinem Ärgernis, durch Reparaturen an Noahs Fahrrad deutlich. Zunächst müssen die Bremsen neu eingestellt werden und dann stellen wir auch noch entsetzt fest, dass die Schraube an seinem Vorderradgepäckträger gebrochen ist. Mittels Kabelbindern verarzten wir den Bruch provisorisch und drücken die Daumen, dass diese Konstruktion nun erst einmal halten wird, bevor wir uns auf die 20 Kilometer lange Abfahrt zum Fluss begeben. Abermals sehen wir die Hochwassermassen am „Rio Cauca“. Die Brücke schwebt nur noch einen Meter über den reißenden Wassermassen. Die am Ufer befindlichen Häuser stehen teilweise zur Hälfte im Fluss. Bald kündigt sich auch schon ein erneuter Regenguss an. Kurz nachdem wir eine kleine Unterkunft in „El Jardin“ bezogen haben, beginnt es für die folgende Stunde zu regnen, als wenn die Welt untergehen würde.
Wir befinden uns nun wieder in einem Tal. Die Landschaft ist recht eintönig, von zahlreichen saftigen Weideflächen für die einheimischen „Ganado's“ (Rinder) geprägt. Immer wieder treffen wir auf kleine Siedlungen am Straßenrand, an denen wir uns mir eisgekühltem Wasser oder auch einem Zuckerrohrsaft versorgen können.
Wenig später fahren wir unseren ersten getroffenen Radlern in Kolumbien entgegen. Zunächst stoßen wir auf Jons und Martina aus Deutschland sowie der Schweiz. Die beiden starteten ihre Fahrradreise im August 2011 in Spanien und wollen nun, nachdem sie per Schiff nach Panama gereist sind, um von dort per Yacht nach Kolumbien übersetzen zu können, durch Südamerika bis nach Ushuaia fahren (http://www.velowostok.blogspot.mx/). Aufgrund des schweren Erdbebens in Japan 2011 änderten sie ihre ursprünglichen Pläne, von der Heimat in Richtung Osten zu fahren. Nur die beibehaltene Internetadresse verrät die initiale Reiseidee.
Wir sitzen gerade wieder auf unseren Rädern, da fahren uns erneut zwei bepackte Fahrradfahrer entgegen. Für die Belgier Delphine und Cedric geht es auf ihrer Hochzeitsreise von Cancun, Mexiko nach Buenos Aires, Argentinien (http://www.sortiedebocal.be/).
Bis „Sincelejo“ ist es noch ein weiterer, heißer, langer Radeltag. Früh am Morgen sitzen wir schon um 07:00 Uhr auf unseren Rädern, nachdem der kurzweilige Streit um den Transport einer schweren Honigmelone zwischen uns beiden Geschwistern ausgefochten ist und sich nun in jeweils einer Packtasche des Einzelnen genau eine Hälfte der Frucht befindet. Ja, so ist das manchmal unter Bruder und Schwester, vor allem wenn es um zusätzliche Gepäckverteilung auf den Fahrrädern geht. ;-)
Viel schwerwiegendere Probleme machen mir derweil ernsthafte Sorgen um den Zustand meines Fahrrades. Seltsame Knack-Geräusche ertönen zeitweilig vom Tretkurbellager und meine Gänge lassen sich am Drehgriff der Nabenschaltung kaum mehr in die gewünschte Position bringen. Bis Cartagena muss es jetzt aber erst einmal noch so halten!
Für die kommenden drei Tage deponieren wir die Räder sowie sämtliches Gepäck in einem Hotel in Sincelejo, um mit dem Bus und Boot nach „Mompós“ zu fahren. Während Noah und ich von Medellin bis hierher stolze fünf Tage benötigt und 29:35 Stunden im Sattel gesessen haben, sitzen unsere Eltern gerade einmal 11 Stunden im Bus, um uns einzuholen.
Um nach „Magangué“, dem Ausgangspunkt für die Boote nach Mompós, zu gelangen müssen auch wir noch einmal für zwei Stunden in einem überfüllten Kleinbus Platz nehmen. Danach geht es mit einem 200 ccm Schnellboot auf die kleine Insel. Ein Moto-Taxi bringt uns schlussendlich zum vereinbarten Hostal und schon sind wir wieder vereint: vier Wiederhold’s für 2 1/2 Tage in Mompós.
Die Kleinstadt Mompós, ursprünglich Sạnta Cruz de Mompox, gehört mit der für Kolumbien einmaligen geschlossenen Bebauung im spanischen Kolonialstil zum UNESCO-Weltkulturerbe. 1537 gegründet, bildete sie während des 16. – 19. Jahrhunderts eine wichtige Handelsstadt im Norden des Landes.
Bei einem ersten nachmittäglichen Stadtrundgang werden auch wir eingenommen von den zahlreichen in weiß getünchten Gebäuden und dem spannenden Schattenspiel auf deren Fassaden. Dennoch müssen wir die Beschreibung der Altstadt im Reiseführer als „gut erhalten“ korrigieren. Uns zeigt sich ein teilweise arg verfallenes Bild der einzelnen Bauwerke. Das hiesige Hochwasser des „Rio Magdalena“ steht an einigen Stellen knöcheltief in den einzelnen Gassen und trägt zum beschleunigten Verfall bei. Leider macht es auf uns jedoch nicht den Anschein, als wenn sich die Bewohner um den Zustand ihrer Stadt sorgen und etwas in Richtung deren Erhalt beitragen wollen würden. Die provisorisch errichteten Dämme in Form von aufgeschichteten Sandsäcken liegen verstreut in der Gegend herum und machen nicht den Eindruck einem erneuten Hochwasser standhalten zu können. Ein weiterer Verfall dieser einzigartigen, mit Charme geprägten Altstadt wäre sehr schade!
Aufgrund der Wasserlage von Mompós bietet sich eine sogenannte „Ciénega-Bootstour“ (Ciénega bedeutet Morast/Sumpf) förmlich an. Gemeinsam mit anderen Touristen nehmen wir in einem motorisierten Holzboot Platz und lassen uns die Tier- und Pflanzenwelt von einem einheimischen Führer näher erläutern. Ein paar Leguane und Wasservögel erregen unsere Aufmerksamkeit, doch die Geschwindigkeit und das Motorengeräusch des Bootes, vertreiben die am Ufer rastenden Tiere rasch. Wir werden auf eine inselartige Familienfarm gefahren, bekommen Schweine, Affen und Papageien zu sehen, worauf ein sprechender Artgefährte Tillmann doch glatt ins Ohr beißt und dürfen frische Orangen kosten. Mein kleiner Bruder wagt, gefolgt von unserem Vater, anschließend den Sprung vom Boot ins Wasser und schon befinden wir uns wieder auf dem Rückweg. Das Abendessen besteht, wie könnte es hier auch anders sein, aus einem frischgefangenen Fisch.
Ein Mototaxi bringt uns nach drei Nächten in Mompós wieder zurück zur Bootsanlegestelle. Zu dritt finden wir hinten auf der Kutschbank inklusive dem gesamten Gepäck Platz, während mein Papa hinter dem Fahrer auf dem Motorrad sitzt. Mehr hätte hier wirklich nicht drauf gepasst!
Eine Stunde müssen wir warten, ehe genügend Menschen eingetroffen sind, die wieder ans Festland wollen. Die Wartezeit auf dem Boot nutzen wir jedoch sinnvoll und kümmern uns um mein folgendes Problem: ich habe gleich beide Schlüssel des Fahrradschlosses verloren, mit dem unsere Räder im Hotel aneinander gekettet sind. Mittels einem Zeichen-Wörterbuch bringen wir die spanischen Übersetzungen für „Flex“ (pulidora) und „Bolzenschneider“ (galicate) in Erfahrung, um die ich mich in Sincelejo werde bemühen müssen.
Nachdem wir unsere Eltern mit einer Fahrkarte in Richtung Cartagena ausgestattet haben, machen wir uns auf den Rückweg im Collectivo nach Sincelejo. Das Schlossproblem lässt sich überraschend schnell lösen. Auch ganz ohne eines der oben aufgeführten Werkzeuge knackt der Hausmeister des Hotels mittels eines alten, verrosteten Schraubenziehers und kleinen Eisenhämmerchens das auf mich massiv wirkende Spiralschloss einer renommierten Marke innerhalb von zehn Minuten. Soviel zur Sicherheit eines als hochwertig geltenden Fahrradschlosses!
Am späten Nachmittag begeben wir uns danach an die 60 km Etappe nach „San Onofre“. Die Hitze von 37°C lässt uns den Schweiß von der Stirn rollen, doch auch der teilweise schlechte Straßenzustand hält uns nicht auf und so kommen wir 3 ½ Stunden später doch noch an unser gestecktes Tagesziel.
Der Staub vom vorigen Tag hat mein rechtes Auge stark röten und zu schwellen lassen. Den ganzen Tag über will der Tränenfluss nicht abebben. Eigentlich ist es auch viel zu heiß, um auf dem Rad zu sitzen. Weit über 40°C vermerkt der Tacho gegen Mittag, doch das Endziel Kolumbiens am karibischen Meer, treibt uns voran, die Hafenstadt: Cartagena.
Kurz vor dem Einrollen in den Stadtverkehr, lassen wir uns zu einer letzten Pause in einer Bäckerei in Cartagena nieder. Völlig nassgeschwitzt, beide mit hochroten Gesichtern, sind wir von den Anstrengungen des Tages arg gezeichnet und nehmen nach dem Kauf von ein wenig Brot und eisgekühltem Wasser auf den bereitgestellten Sitzbänken Platz. Ein Gast zeigt sich an unserer Reise interessiert und spendiert uns sogleich je eine Cola und ein Eis.
Mit diesen letzten Kraftreserven schlängeln wir uns, den zahlreichen Mopeds gleich, durch den Stadtverkehr von Cartagena bis vor die Türe unseres Hostals.
„Cartagena de Indias“ gilt als eine der schönsten Kolonialstädte Südamerikas. Gleich eine gesamte Woche verbringen wir im alten Stadtzentrum, dem Viertel „Getsemani“, das angeblich den kleinen Leuten und Handwerkern gehört, nun aber von den zahlreichen Touristen dominiert wird. Wir haben kurz vor Weihnachten, doch weihnachtliche Gefühle wollen einfach keine aufkommen. Wie auch, bei schwülen 35°C?!
Wir entschließen uns den heiligen Abend am „Playa Blanca“ zu verbringen. Versehentlich geraten wir bei der Ticketbuchung auf ein Touri-Schiff mit eigenem Animateur und müssen uns die gesamte Überfahrt ein lautstarkes Programm anhören. Doch irgendwann ist auch das geschafft, es empfängt uns türkisblaues Meer, Kokospalmen, weißer Sandstrand und ganz viel Sonne. Von den etwas nervigen Verkäufern und dem herumliegenden Müll einmal abgesehen: es kommt tatsächlich Karibikfeeling auf! Übernachtet wird in kleinen mit Palmenwedeln bedeckten Steghäuschen am Strand. Ein wenig erinnern sie uns an das Dorf der Gallier, bei Asterix und Obelix! ;-) (schaut selbst auf den Bildern).
Der erste Weihnachtstag-Morgen bricht an, die Sonne scheint, der Blick geht auf das karibische Meer: nichts wie raus und erst einmal schwimmen… nach dem herrlichen Bad legen wir uns zum Trocknen in die Sonne, wobei ich versehentlich für eine halbe Stunde einnicke und mir den schlimmsten Sonnenbrand meines gesamten Lebens zuziehe. Die nächste Woche wirft meine Haut wassergefüllte Blasen, jeder Schritt wird zu einer Qual und ich wünsche mir sehnlichst die Zeit ein wenig zurückdrehen zu können, um rechtzeitig an Sonnencreme zu denken.
Wieder festen Boden unter den Füßen, erkunden wir die Altstadt, die seit 1984 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und mit zahlreichen, bunt geschmückten Kolonialfassaden aufwarten kann. Pferdekutschen durchziehen die Pflastersteine der Straßen, aus allen Ecken strömen die verschiedensten Gerüche leckerer Restaurants und bis in den späten Abend hinein pulsiert das Leben hinter dem komplett von einer Festungsmauer umgebenen Stadtzentrum.
Das „Castillo de San Felipe de Barajas“, die mächtigste, historische Wehranlage in Lateinamerika, befindet sich nur fünf Gehminuten von unserem Hostal entfernt und lohnt einen Besuch. Es wurde von den Spaniern auf dem San Lázaro-Hügel zur Überwachung des maritimen Zugangs zur Stadt errichtet. Heute kann man auf den Wachturm steigen und sich das Tunnelgewirr im Inneren anschauen. Den Sonnenuntergang genießen wir von einer der Festungsmauern.
Ich blicke zurück auf 14.600 km Fahrradreise, die mich vom südlichsten Punkt Südamerikas, Ushuaia, bis in die kolumbische Hafenstadt Cartagena, zur Karibik geführt hat. Südamerika werde ich nun verlassen, ein großer Teil der Reise liegt hinter mir, doch mehr als die Hälfte der Strecke auf meinem Weg nach Alaska, gilt es auch noch zu bewältigen.