Antigua Guatemala – Agua Escondida – Chichicastenango – Sacapulas – Chiantla – Huehuetenango
Ich kehre Antigua den Rücken zu und fahre stetig bergauf, bis ich den Pass auf 2460 m Höhe erreiche. Den ersten Tag auf dem Fahrrad nach meiner Pause lasse ich ruhig angehen und suche gegen 16 Uhr eine Unterkunft. Ein Hotel am Straßenrand verlangt stolze 12,50 Euro für die Nacht, doch nachdem ich mit dem Chef gesprochen habe, ergibt sich eine gratis Zeltmöglichkeit in der freien, dritten Etage des Gebäudes. So kann ich mein Zelt im Trockenen aufbauen und sitze schon wenig später mit der gesamten Küchencrew beim Abendessen zusammen. Es wird herzlichst für mich gesorgt und erst nachdem ich auch noch einen Kaffee und den dazugehörigen Nachtisch verspeist habe, darf ich mich auf mein Nachtlager begeben. Rundum glücklich und zufrieden schlafe ich an diesem Abend ein, mit der festen Absicht, in den kommenden Tagen weiter mein Camp-Glück zu versuchen.
Vor 6:00 Uhr am Morgen erweckt mich laute Michael Jackson Musik. In der Küche wird schon schwer gearbeitet und nachdem ich meine sieben Sachen wieder auf das Rad geschnürt habe, bekomme ich ein ausgezeichnetes Frühstück serviert.
Mein heutiges Tagesziel heißt „Chichicastenango", die touristische Hochlandstadt Guatemala's schlechthin. Bevor ich dieses religiöse Zentrum des alten Königreichs der Quiché erreiche, rase ich eine steile Abfahrt hinunter und kann im Anschluss drei Kilometer lang bergauf schieben, die Steigung ist einfach mit meinem Rad nicht bezwingbar…
Es ist Mittwoch und der am folgenden Tag stattfindende, berühmteste guatemaltekische Markt befindet sich schon im Aufbau. Ich finde eine kleine, gemütliche Bleibe und drehe am späten Nachmittag meine erste Runde in dem Dorf. Die traditionell gekleideten Einheimischen schleppen stapelweise bunt leuchtende Stoffe herbei und plazieren sie auf ihren provisorischen Ständen, die aus dünnen Baumstämmen gezimmert sind und mittels einiger Schnüre zusammen gehalten werden.
Mit den ersten Sonnenstrahlen erweckt der Markt am Donnerstag zum Leben. Der Tempel auf der Plaza bildet die erste Anlaufstation für die Maya-Schamanen. Weihrauch wird aus alten Blechbüchsen verteilt, indem einige Personen die Büchse schwenkend umherlaufen. Am Stufenende brennt ein Feuer, um welches die Schamanen stehen und ihre Gebete gegen Himmel richten. Die Treppe besteht aus 18 Stufen, der Anzahl der Monate des Maya-Kalenders entsprechend und stammt noch vom alten Maya-Tempel aus dem 16. Jahrhundert. Heute sind die Stufen mit hunderten von Blütenblättern geschmückt. Fasziniert beobachte ich das Geschehen und bin froh darum, so früh auf den Beinen zu sein, denn noch zeigen sich kaum Touristen in den Gassen.
Wenige Stunden später soll sich dies jedoch ändern. Nun laufen Menschen aus aller Herren Länder in der kleinen Stadt umher und versuchen bei den Verkäufern feinster Stoffe, Textilien und antiker Masken auf Schnäppchenjagt zu gehen.
Von einem Restaurantbalkon habe ich den perfekten Überblick auf das hektische Geschehen unter mir und kann mich auch nach einer Stunde kaum von meinem Lieblingsplatz losreißen. Es gibt einfach zu viel zu entdecken. Dabei beeindrucken mich die Lastenträger am meisten, welche geschäftig von einem Stand zum nächsten huschen. Zentnerschwere Gewichte auf dem Rücken und ein breites Lederband über die Stirn führend, um die Last in Position halten zu können, sind sie den ganzen Tag im Einsatz. Lediglich gegen Mittag sehe ich sie pausieren, bei einer Mahlzeit Kräfte tankend, um am späten Nachmittag wieder mit dem Abbau der Stände und dem Wegschaffen der Waren zu beginnen.
Bei dem Anblick all dieser aufwendig verzierten Kleidungsstücke und Bänder, die teils geometrische Formen zeigen, komplizierte Blumenmuster aufweisen oder Guatemalas Pracht- und Nationalvogel den „Quetzal“ ehren, kann auch ich nicht wiederstehen und erstehe nach langen Verhandlungen in letzter Minute zwei wunderschöne Zierbänder, die mich diesen gigantischen, indigenen Markt nicht vergessen lassen sollen.
Die Steinstatue „Pascual Abaj“, die sich in unmittelbarer Nähe Chichicastenango’s befindet und der ich zu Fuß einen Besuch abstatte, kann mich im Gegensatz zum beschriebenen Markt, nicht wirklich überzeugen. Der religiöse Ort scheint nur bei aktuellen Anlässen seine magische Kraft zu entfalten, mir dagegen bietet sich ein bis auf die Asche heruntergebranntes, altes Feuer, um welches eine Touristengruppe mit ihrem Guide steht und gelangweilt seinen erklärenden Worten lauscht. Da mache ich mich doch schnell wieder auf den Weg hinunter in die Stadt.
Der folgende Tag ist ein Freitag und gerade hier in Chichicastenango hält man sich streng an die österlichen Feierlichkeiten, es ist der: „Segundo Viernes de la Cuaresma de Semana Santa“.
Die Messe mit anschließender Prozession im Ort wird auf „Quiché“ abgehalten, der meistgesprochenen Mayasprache des indigenen Volkes. Allein einige der gesungenen Lieder sind auf Spanisch, denen auch ich ein paar Wortfetzen entnehmen kann. Die Atmosphäre ist sehr beeindruckend anzusehen und vermittelt ein unglaublich großes Zusammengehörigkeitsgefühl der Einheimischen in Verbindung zu ihrem streng katholischen Glauben.
Völlig gebannt schaue ich dem Treiben auf der Plaza zu, bin derartig fasziniert und gefesselt, dass ich gar nicht bemerke, wie die Zeit vergeht und mache mich daher erst am späten Vormittag auf den Weg aus der Stadt. Kaum habe ich sie verlassen, bekomme ich Guatemala’s Berge zu spüren. Steile Abfahrten und ebenso heftige Anstiege lassen das Radfahren zur Härteprobe werden, der Straßenbau versetzt mich immer wieder in großes Staunen.
Am Abend erreiche ich „Sacapulas“ und kann auf dem Gelände des öffentlichen Pool’s zelten. Schnell bin ich von zahlreichen Kindern und Jugendlichen umringt, die neugierig den Zeltaufbau beobachten. Wenig später, die Dunkelheit setzt gerade ein, habe ich den Pool für mich ganz alleine und kann einige Runden in ihm drehen. Die erfrischende Abkühlung ist das beste Geschenk nach einem heißen, bergigen Tag auf dem Fahrrad!
Ich versuche am kommenden Tag die kühleren Morgenstunden zu nutzen, um einige Kilometer abzukurbeln, doch es will mir nicht so recht gelingen. Schnell wird es heiß, es geht viel bergauf und mehrfach zwingt die Steigung mich neben das Rad und ich muss schieben. Insgesamt bewältige ich an diesem Tag lediglich 56 Kilometer, doch ebenfalls 1500 Höhenmeter, innerhalb von knapp sechs Stunden Fahrzeit!
Gegen Mittag bin ich in „Aguacatán“, luftlinientechnisch einen Katzensprung von Sacapulas entfernt und doch ist es hier schon wieder so anders. Die Trachten der Einheimischen haben sich in rot gestreifte Röcke und feine weiße Blusen mit Spitzenbesatz und zahlreichen, aufwendigen Stickereien verändert. Hier entdecke ich, dass meine in Chichicastenango erworbenen Zierbänder, den Einheimischen zusammengerollt als Kopfschmuck dienen. Wie ein großer Kranz thront das bunte Schmuckstück auf den Köpfen der Frauen, die zu „Bommeln“ geformten Enden liegen neben den zu Zöpfen geflochtenen Haaren.
Von „Chiantla“ aus mache ich einen Abstecher ins lediglich 4 km entfernte „Huehuetenango“. Der Mercado-Besuch artet in ein großes Gedränge aus, indem ich als einziger Tourist kaum Aufsehen errege. Zu meiner Enttäuschung tragen hier die wenigsten Menschen ihre traditionelle Kleidung, vielmehr befinde ich mich inmitten von Jeans und europäisch, amerikanisch angehauchtem Stil wieder.
Von hier wird es nun richtig in die Berge gehen, die „Cordillera de los Cuchumatanes“ erwartet mich.