Chiantla – Todos Santos Cuchumatán – San Nicolas – Nebaj – Uspantán – San Cristóbal Verapaz – Cobán – Semuc Champey
Die Cordillera de los Cuchumatanes erwartet mich also.
Sie ist ein Gebirgszug im Nordwesten Guatemalas und zählt mit den bis zu 3.800 m hohen Bergen zu den höchsten in ganz Zentralamerika. Dabei handelt es sich um nichtvulkanisches Kalkgebirge, welches durch etliche Längs- und Querbrüche zerteilt ist.
Von „Chiantla" aus, muss ich mich erst einmal hinaufarbeiten. Es wird teils so steil, dass ich keine andere Möglichkeit habe, als das Rad zu schieben. Nach 13 km stehen 1096 Höhenmeter auf dem Tacho, einen derartigen Anstieg habe ich seit meinem Reisestart in Ushuaia, Argentinien, noch nicht erlebt!
Je mehr Höhe ich gewinne, umso nebeliger wird es, stellenweise sehe ich gerade einmal 50 m weit. Nach einigen Kilometern stehe ich an einem „Mirador“ (Aussichtspunkt), an dem gerade ein Videodreh stattfindet. Ich werfe schnell einen Blick auf die zurücklegten Straßenkehren in die Tiefe hinab und mache mich wieder auf den Weg. Zumindest hat es nun etwas aufgeklart…
Diese Gegend ist so abgeschieden, dass sich äußerst selten ein „Gringo“ hierher verirrt und noch seltener kommt jemand mit einem derart bepackten Fahrrad daher. So bekomme ich schnell Begleitung, als ich durch eine kleine Häuseransammlung rolle. Lachend rennt eine Kinderschar hinter mir her und lässt mich meine Müdigkeit schnell vergessen.
10 km sind es nun noch nach „Todos Santos“, einem kleinen Marktort in den Cuchumatanes-Bergen, der für seine Webkunst berühmt ist. Es geht sehr steil bergab und im Stillen bin ich dankbar aus meiner Richtung gekommen zu sein, ansonsten hätte ich auf diesem Abschnitt mit Sicherheit überwiegend schieben müssen.
Je näher ich mich dem Ort nähere, umso mehr Menschen begegne ich auch und direkt fällt mir ihre kunstvolle, traditionelle Kleidung in den Blick. Dieses Mal sind es die Männer, die eine besonders auffallende Tracht tragen. Ihre Hosen sind rot-weiß gestreift, dazu ein blau-weißes Hemd mit aufwändig, bunt gewebtem Kragen und auf dem Kopf sitzt ein beigefarbener Hut mit blauem Zierband. Zumeist baumelt dazu eine farblich passende Umhängetasche von ihren Schultern.
Ob klein oder groß, kaum jemand verzichtet auf diese Traditionskleidung, die diesem Ort ein ganz besonderes Flair verleiht.
Die Frauen zeigen sich in sogenannten „Huipiles“. Von der Form einem Umhang gleichend, besteht das wichtigste Stück der Tracht, aus gewebter Baumwolle und ist mit traditionell gestickten Mustern versehen. Später erklärt mir eine Frau aus dem Dorf, dass ein solcher Huipil gute 20-30 Jahre getragen werden kann und danach für andere Zwecke, wie zum Beispiel Decken, verwendet wird. Er besteht aus drei einzelnen Teilen (vorne, Rücken, Ärmel), die alle separat gewebt werden, um im Anschluss maschinell zusammengenäht werden zu können. Diese kleinen Kunstwerke sind sehr arbeitsintensiv, was bedeutet, dass die Frauen über einen Zeitraum von drei Monaten oft stundenlang auf Knien vor ihren Webrahmen sitzen, um einen Huipil herzustellen.
Todos Santos zeigt sich am folgenden Tag im Nebel und Nieselregen, doch ich habe es nicht eilig, möchte ein wenig ausruhen und verbringe den Tag lesend in einem Hostal.
Mittwoch ist Markttag im Dorf und seit Sonnenaufgang tummeln sich die Einheimischen in den Gässchen, um ihre Besorgungen an den einfachen Ständen rund um die Plaza zu erledigen. Stoffballen türmen sich neben Tomaten, Bohnen, Äpfeln und Bananen.
Schweren Herzens trenne ich mich von diesem magischen Ort, der mich in den wenigen Stunden des Aufenthalts nahezu in eine andere Welt versetzt hat und mache mich auf den Weg zurück, der mich aus dem Tal wieder hinauf in die Berge führen wird. Es ist ein harter Kampf und für über zwei Stunden mühe ich mich ab, die 12 Kilometer irgendwie hinter mich zu bringen. Ein paar Umdrehungen treten, dann wieder absteigen und schieben, so wechselt sich mein Rhythmus ab, bis ich die erlösende Kreuzung erreiche und mich endgültig auf den Sattel schwingen kann.
In „San Nicolas“ verlasse ich den glatten Asphalt, wechsle für die nächsten zwei Tage auf Schotter über. Ich habe die Hochebene erreicht, die Landschaft zeigt sich von einer trockenen, interessanten Seite und wenn ich an einer kleinen Siedlung vorbeifahre, sehe ich die Frauen am Fluss ihr Wäsche waschen, während die bereits fertigen Kleidungsstücke zum Trocknen zumeist über dem Stacheldrahtzaun hängen und der sonst so kargen, einfarbigen Landschaft einen bunten Farbtupfer verleihen. Schafherden weiden auf den endlos erscheinenden Feldern, nur an einem Brunnen herrscht reges Treiben. Auf Schubkarren transportieren die hiesigen Bewohner gefüllte Wasserkanister zu ihren Behausungen. Oftmals begegne ich auch Frauen, die die schwer gefüllten Plastikkrüge auf dem Kopf balancieren.
Nach dem langen Anstieg am Mittag fühle ich mich erschöpft und frage eine Familie, ob ich auf ihrem Grundstück mein Zelt aufschlagen kann. Sie bieten mir sogar ein Bett in ihrem Haus an, dass ich aber dankend ablehne, da ich mich draußen einfach viel wohler fühle und so auch ein wenig Zeit für mich finde, ohne ständig aus den Augen meiner Gastgeber beobachtet zu werden. Zufrieden zupfe ich wenig später mit den Kindern Maiskörner von den Kolben und fülle sie in einen großen Korb. Zum Abendessen wird die Mutter daraus für alle einen großen Stapel Tortillas machen.
Die Verständigung ist denkbar schwierig, da die Familie untereinander die Sprache des indigenen Volkes „Mam“ spricht. Ihr Spanisch ist tief mit dieser einheimischen Sprache versetzt und für mich schwer zu verstehen, doch mit Zeichen und gegenseitigem Lächeln kommen wir gut miteinander zurecht.
Die Nacht wird kalt, immerhin befinde ich mich auf über 3.000 Meter und um 05:00 Uhr am Morgen werde ich durch das Motorengeräusch eines LKW's geweckt. Als ich eine gute Stunde später aus dem Zelt krieche, sind die älteren Kinder mit den Erwachsenen schon zur Maisernte auf die Felder gefahren. Nur die (Groß-) Mutter mit ihren Enkelkindern bleibt zurück und bereitet das Essen für die hungrigen Arbeiter vor.
Mich dagegen erwarten einige klare Morgenstunden und auf gutem Schotter erreiche ich zügig das nächste Dorf „Las Majadas“. Ein Mann fragt mich, wohin ich denn unterwegs sein würde und erschrickt beinahe, als ich ihm antworte, dass ich über "Palob" nach "Nebaj" fahren wolle. Er warnt mich, dass es in der letzten Woche viel geregnet habe und dies für die Einwohner bedeuten würde, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht über die Berge fahren würden, da die Autos im Matsch stecken bleiben können. Ein wenig nachdenklich fahre ich weiter, seine Warnung hat mir zu Denken gegeben, doch umkehren möchte ich auch nicht…
Kurz darauf endet der gut befestigte Schotterweg und ich fahre auf einer Erdstraße weiter. Handbreittiefer Schlamm befindet sich auf der Oberfläche, es ist rutschig und schnell setzt sich mein Reifenprofil zu. Gleich zwei Mal falle ich vom Rad, da es unkontrolliert zu schlingern anfängt. Es ist, als ob ich mit Slick-Reifen auf Eis unterwegs sein würde. Doch der Boden ist weich und so werde ich gut abgefedert, ohne mir dabei weh zu tun. Ein kleiner Lastwagen befindet sich ebenfalls auf der Strecke und hat sich bereits zum zweiten Mal festgefahren. Lachend winkt mich der Fahrer vorbei, während er und sein Beifahrer versuchen Holzplanken unter die Räder zu schieben, um den Wagen aus dem Schlamm befreien zu können.
Gegen Mittag erreiche ich „Palob“, kaufe mir an einem kleinen Kiosk einen Ananassaft, eine Banane, ein paar Tortilla-Chips und setze mich auf einem Baumstumpf nieder. Die Ladenbesitzerin scheint mit diesem Mittagessen jedoch nicht einverstanden zu sein und erscheint kurz darauf mit einem dampfenden Teller mit von Blättern umwickelten Maisteig. Dazu reicht sie mir eine höllenscharfe Chilisoße und bittet mich in ihre Küche, wo ihr zwei Töchter ebenfalls gerade am Essen sind.
Gut gestärkt geht es für mich nun steil bergab und wenig später ebenso steil wieder bergauf in Richtung Nebaj. Zumindest kann ich mich wieder über eine gut befahrbare Schotterpiste freuen und auch mein Reifenprofil kommt nach einigen Kilometern trockener Strecke wieder zum Vorschein.
Eigentlich habe ich gar nicht vor, heute den gesamten Weg nach Nebaj zurückzulegen. Die Zeitangaben der mir entgegenkommenden Personen variieren von 10 Minuten bis zu 2 Stunden heftig und so komme ich relativ spät in der Stadt an. Wieder erwarten mich neue Trachten, die Frauen tragen nun kaminrote anstatt dunkelblaue Röcke und im Haar steckt ein Band, welches zu einer Art Geflecht verwoben ist.
Die „Cordillera de los Cuchumatanes“ ist durchquert und ich habe eine wirklich schöne, einsame sowie herausfordernde Strecke erleben dürfen. Mein Dank richtet sich dabei an Karin und Marten, zwei Radfahrern aus den Niederlanden, die mir diese Strecke ans Herz gelegt haben. Das Pärchen traf ich in Peru und seitdem stehen wir in ständigem E-Mail-Kontakt.
Dass ich die Cordillera hinter mir gelassen habe, heißt jedoch noch lange nicht, dass es in den kommenden Tagen weniger bergig werden soll. Kaum habe ich "Nebaj" den Rücken zugekehrt erwartet mich ein harter Anstieg, der mich abermals neben das Rad und zum Schieben zwingt.
Meine Mittagsrast verbringe ich in „Cunén“ und quäle mich im Anschluss über die nächste Bergkette. In Guatemala scheint es das Wort „flach“ einfach nicht zu geben, doch die fröhlichen Kinder machen alle Strapazen erlebenswert, voller Enthusiasmus lachend und schreiend laufen sie neben mir her und schieben mich von hinten an. Während die Erwachsenen oft nur ein Kopfschütteln für mich übrig haben, versetzt die Kinder mein schwer bepackter Drahtesel in großes Entzücken.
Im späteren Tagesverlauf passiere ich eine gefährliche Straßenstelle. Ein großer Steinschlag ist auf den Weg niedergeprasselt. Dicke Steinbrocken liegen auf dem Asphalt herum und eine Fahrbahnseite ist ganz in den Abgrund gebrochen.
Kurz vor Eintreffen in „Uspantán“ begegne ich einem 13jährigen Jungen, der mir mit dem Motorrad seines Vaters entgegen kommt und von zwei anderen Radfahrern berichtet, die wenig zuvor in die Stadt gefahren sein sollen. Neugierig und zugleich erschöpft von den vergangenen Tagen begebe ich mich auf Unterkunftssuche und treffe keine 10 Minuten später auf die beiden Kanadier Karen und Mike, die in ihrer Heimat gestartet und nun nach Süden unterwegs sind. Den Abend verbringen wir quatschend im Hotelzimmer und auch wenn mir vor Müdigkeit beinahe die Augen zufallen, genieße ich es doch ein paar Stunden in Begleitung zu sein.
Am Morgen starte ich früh, da mir das kanadische Pärchen von einem erbärmlichen Straßenzustand berichtet hat. Angeblich soll es einen heftigen Erdrutsch gegeben haben.
Ich komme zunächst gut voran, habe eine 28 km lange Abfahrt vor mir, ehe ich den „Rio Chixoy“ überquere und mich an den Anstieg auf der gegenüberliegende Seite wage.
Die Steigung ist im Vergleich zu dem bereits bewältigten deutlich sanfter und ich kann auf meinem Sattel bleiben, allein der einsetzende Regen und die allseits vertretenen Schlammlöcher machen mir ein wenig zu schaffen. Beinahe zu früh gefreut, stehe ich plötzlich am Straßenende. Mehrere hundert Meter tief bricht der Weg in die Tiefe, einen solch gigantischen Erdrutsch habe ich in meinem Leben noch nie gesehen!
Ein Umweg ist eingerichtet, führt bis ganz an den Abgrund heran, um auf der anderen Seite wieder auf Straßenhöhe anzusteigen. Dieser eine Kilometer, den ich auf dem ursprünglichen Pfad sehr schnell hinter mich hätte bringen können, wird mich nun den gesamten Nachmittag kosten.
Da die neu eingerichtete Umleitung durch Privatgelände führt, hat der Eigentümer am Eingang eine Schranke einrichten lassen und verlangt von jedem passierenden Fahrzeug eine Benutzergebühr. Ich werde jedoch winkend durchgelassen.
Mit den Fingern an den Bremsen rolle ich in Schrittgeschwindigkeit die Passage hinab, teilweise geht es auf großen Steinen daher. Unten angekommen heißt es absteigen, denn der Anstieg ist fahrend einfach nicht zu bewältigen. Der Untergrund ist von Geröll und Schutt geprägt und der Steigungsgradient unbeschreiblich. Doch das Glück steht heute auf meiner Seite, ich befinde mich keine zwei Minuten im Anstieg, da hält ein Pick-up neben mir und der Fahrer steigt aus, um mein Rad auf die freie Ladefläche zu heben. Er ist entsetzt, dass ich hier in dieser gefährlichen Gegend alleine mit solch schwerem Gefährt unterwegs sei und dies wahrscheinlich für die kommenden Stunden, denn schiebend würde ich lange brauchen, um die Straße oben zu erreichen.
Auf der Ladefläche hingegen brauchen wir lediglich 10 Minuten bis zum Gipfel. Kaum oben angekommen, klopfe ich wie wild an die Rückseite der Fahrerkabine, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich ab hier nun wieder alleine unterwegs sein könne. Kopfschüttelnd hilft er mir mein Fahrrad herunter zu heben und dankend verabschiede ich mich.
So erreiche ich relativ früh „San Cristóbal Verapaz“, es beginnt wieder stärker zu regnen, doch bevor ich eine Unterkunft finden kann, bin ich schon klitschnass… die letzten 20 Kilometer nach „Cobán“ erledige ich dann eben morgen…
Gemütlich fahre ich in die Stadt „Cobán“ ein. Wie schon in den vergangenen Tagen treffe ich andauernd auf Frauen und Kinder, die Gefäße von unterschiedlichster Größe auf ihren Köpfen transportieren, um damit jedes Mal in einem kleinen Holzunterstand zu verschwinden. Aus dem kleinen Häuschen dringt Maschinenlärm bis auf die Straße und mit der Zeit wird mir klar, dass sich Mais in den Gefäßen befindet, welcher anschließend maschinell zu Mehl gemahlen wird, um danach zu Tortillas verarbeitet werden zu können. In jedem kleinen Dorf befindet sich ein solches Gerät, zu dem die Leute gehen. Die Strecke dorthin gestaltet sich nahezu als ein Wanderweg und ohne Tortillas geht es hier nun einmal nicht ;-)
In "Cobán" erlebe ich einen weiteren Teil der vorösterlichen Prozession, bevor ich mich am anderen Tag in Regen und Nebel mit einer Touristengruppe auf den Weg nach „Semuc Champey“ begebe.
Es handelt sich dabei um ein natürliches Naturreservat, welches aus zahlreichen türkisgrünen Wasserbecken besteht, die alle in ihrer Tiefe variieren und vom Fluss „Rio Cahabón“ gespeist werden. Abhängig von Jahreszeit und Tageslicht verändert sich die Farbe des Wassers.
Fast 3 Stunden fahren wir von "Cobán" zunächst über "Lanquin" und wechseln dort von einem Minibus in eine 4x4 Fahrzeug. Die Stimmung ist aufgrund des schlechten Wetters verständlicherweise gedrückt, doch als wir unser Ziel erreichen, kommt doch tatsächlich die Sonne zum Vorschein. Damit hätte niemand von uns gerechnet!
Die terrassenartig angelegten Becken strahlen in einem bezaubernd schönen Türkis vor sich hin und gemeinsam schwimmen wir von einem ins nächste. Wenn es tief genug ist, darf sogar ein Sprung gewagt oder auf glatten Steinen hinabgerutscht werden.
Ein besonderes Highlight wartet zum guten Schluss der Tour auf einige kletterfreudige Teilnehmer. Über hunderte von Holzstufen geht es den angrenzenden Berg hinauf auf einen Mirador (Aussichtspunkt). Erst von oben wird einem die Größe dieses herrlichen Naturschauspiels so richtig bewusst, welches 1999 vom damaligen Präsidenten „Alvaro Arzú Irigoyen“ zum guatemaltekischen Naturerbe ernannt wurde.
Auf der Rückfahrt stoppen wir kurz bei der Höhle von Lanquin. Zahlreiche Stalaktiten und Stalakmiten in den verschiedensten Größen und Formen erwarten uns, schade nur, dass das Licht ausgeschaltet ist und wir uns lediglich im Schein der Taschenlampe des Guide’s unseren Weg ertasten können.
Die Höhle ist der Lebensraum von Tausenden von Fledermäusen, die den Tag über schlafend an der Höhlendecke verbringen und sie nur zum Sonnenuntergang verlassen.
Unsere Gruppe macht sich jedoch zuvor schon wieder auf den Heimweg, schließlich steht eine mehrstündige Busfahrt bevor.
Der Ausflug nach Semuc Champey ist definitiv zu empfehlen!
Mein weiterer Weg wird mich nun zur vorerst letzten Station im nördlichen Guatemala führen. Es geht nach "Flores" und der antiken Stadt der Maya in den Regenwäldern des Petén: TIKAL