Great Divide Teil 1 (Colorado, Wyoming)

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Moran, Wyoming, United States
Friday, September 7, 2012

Gunnison – Marshall Pass – Salida – Nähe Hartsel – Dillon – Pumphouse Recreation Area – Steamboat Springs – Little Snake River – Teton Reservoir – A & M Reservoir – Diagnus Well – Little Sandy Creek – Pinedale – Lake of the Woods – Turpin Meadow Campground

Die ganze Nacht über hat es geregnet. Die ersten 10 km hinter „Gunnison" ist alles grau in grau, doch immerhin bleibe ich trocken. Dann öffnen sich die Himmelsschleusen erneut und ich muss anhalten, um meine Regenjacke hervorzuholen. Die Jacke ist schnell übergezogen und ich will weiterfahren, da bekomme ich genau jetzt einen Platten. Ein spitzer Stein hat sich in meinen Hinterradmantel gebohrt. Der Schlauch will gewechselt werden. Nach wenigen Minuten stoppt ein Pärchen im Auto neben mir und hilft beim Abziehen des Mantels.

Keine Ahnung, warum der dieses Mal so feste auf der Felge sitzt, dass ich ihn nicht abbekomme. Kurz darauf bekommen wir auch noch die Verstärkung der örtlichen Polizei. Obwohl ich mich auf dem Seitenstreifen befinde, wird das Polizeiauto in einiger Entfernung quer zur Fahrbahnrichtung gestellt. Die Gefahrenstelle ist vorbildlich abgesichert.

Nachdem das Fahrrad wieder läuft fahre ich in einem durch nach „Sargents". Ich bin total nass, meine Finger sind halb erfroren. Es ist gerade einmal 10 °C und nur ein heißer Kaffee von der Tankstelle kann mich zur Weiterfahrt animieren.

Zwei Radler kommen mir vom „Marshall Pass“ entgegen. Dieser 3305 m hohe Gebirgspass der „Sangre de Cristo Range“ verbindet „Gunnison“ auf der einen mit „Salida“ auf der anderen Seite. Er kreuzt die kontinentale Wasserscheide. Steht man auf dem Pass, befindet sich im Westen der Pazifische Ozean, im Osten der Atlantische Ozean. Genau hier biege ich auf den „Continental Great Divide Trail“ ein. 4418 km windet sich dieser ursprünglich für Mountainbiker vorgesehene Pfad von „Banff“, Alberta, Kanada bis nach „Antelope Wells“, New Mexico, USA. Exakt dem Grenzübergang, der auch mich von Mexiko in die USA geführt hat.

Allerdings habe ich kurz darauf den Trail, der weiter durch New Mexiko und nach Colorado führt, verlassen und bin stattdessen durch Arizona und Utah gefahren. Ab nun werde ich dieser Route, die durch die „Adventure Cycling Association“ (ACA) entwickelt wurde und sich zu 90 % auf Schotterstraßen bewegt, bis nach Kanada folgen.

Aufgrund des schlechten Wetters hatte ich mich schon beinahe für den asphaltierten „Monarch Pass“ entschieden. Die beiden Radfahrer, die jedoch gerade vom „Marshall Pass“ herunter kommen, versichern mir, dass sich die Strecke trotz des ausgiebigen Regens in gutem Zustand befindet.

Keine 2 km später treffe ich auf „Adam“ aus Kanada. Er ist seit 10 Tagen auf dem „Colorado Trail“ unterwegs, der hier die Route des Continental Divide kreuzt. Staunend bewundere ich sein Gepäck. In eigener Handarbeit hat er sich eine Fahrradrahmentasche genäht, in der er nun seine Ausrüstung transportiert. Er fährt unter dem Motto des „bikepacking“. Dieses Wort setzt sich aus dem allgemeinen „backpacking“ (Rucksack reisen) und „bike“ (Fahrrad) zusammen. Im Gegensatz zu mir versucht Adam mit so wenig Gepäck wie möglich zu reisen. Seitlich hängende Taschen oder ein Anhänger fallen nicht unter dieses Konzept des „lightweight offroad touring“.

Im Grunde genommen ist dies Mountainbiken mit leichtem Gepäck. Auf Komfort beim Campen muss da natürlich verzichtet werden und so haben die meisten „Bikepacker“ noch nicht einmal ein Zelt dabei, sondern höchstens ein „Tarp“. Eine Plane, die mit kleinen Aufstellstangen als Sonnen- oder Regenschutz verwendet wird. Eine Art Notunterkunft eben. Auf der anderen Seite spart dies enorm viel Gewicht und Gepäckvolumen. Ein wenig neidisch bin ich auf Adams federleichtes Rad schon, doch am Abend freue ich mich auch über mein gemütliches Zwei-Personen-Zelt und den dicken Daunenschlafsack.

Es ist ein langer, stetiger Anstieg zum „Marshall Pass“. Der Schotterweg befindet sich tatsächlich in gutem Zustand und einige Quad- sowie Motorradfahrer sind hier ebenfalls unterwegs. Mit Zweien von ihnen teile ich am frühen Abend einen schönen Campingplatz in der Wildnis. Wie sehr habe ich das doch in den vergangenen Wochen vermisst. Zelten – wo ich will. Die strikten Regeln der Nationalparks lassen einem keine Wahl bei der Stellplatzsuche. Jetzt kann ich wieder halten wo es mir gefällt und habe die Natur für mich allein.

Strahlend blauer Himmel und die Sonne begrüßt mich am Morgen. Nach „Salida“, einer Kleinstadt am Arkansas River, ist es nun nicht mehr weit.

Ich komme sogar rechtzeitig zum „Farmer's Market“ (Bauernmarkt) und kann gemütlich von einem Stand zum anderen schlendern. Hier ist alles auf „organic“ ausgerichtet. Wir würden dazu eher „Bio“ sagen. Zwei ältere Damen spinnen am Spinnrad und erinnern mich an meine Großmutter, die zu jeder Adventszeit auf dem „Tuppenhof“ in meinem Heimatort „Kaarst“  ihr Spinnrad dreht. Eine junge Frau verkauft selbstbedruckte T-Shirts. Beim Nachbarn gibt es Honig und von gegenüber riecht es nach frischen Backwaren. Dazu spielt eine kleine Blaskapelle und die Kinder sitzen lauschend davor. Alle sind sie zu Fuß oder mit dem Rad gekommen. Es ist ein perfekter Sommer-Sonntag.

Vom Besucherzentrum wähle ich die Nummer eines warmshower-Gastgebers. Wenig später nehmen mich „Abbie“ und „Evan“, ein junges Pärchen die sich erst vor kurzem selber über die Internetorganisation warmshowers kennen und lieben gelernt haben, bei sich auf. Das Zelt darf ich in ihrem Garten aufstellen und nach einer Dusche mache ich mich auf den Weg in den Ort.

Hier gibt es gleich mehrere Fahrradläden und bei „Absolute Bikes“ kennt man sogar die deutsche Rohloff-Gangschaltung. Seit meinem Start in Argentinien habe ich das Fahrrad selbst gewartet und für jedes Problem eine eigene Lösung gefunden.

Nun bin ich glücklich darüber, dass ein Fachmann sich dem Schaltkabelwechsel widmen kann. Meine Gänge lassen sich nur noch schwer in die gewünschte Position bringen. Zwei Stunden später hat der Mechaniker „Scott“ nicht nur die Kabel gewechselt, sondern auch den Gepäckträger gerade gebogen, die Bremskabel geölt, das Tretlager angezogen und den leichten Schlag aus dem Hinterrad entfernt. Für die weitere Strecke nach Kanada sollte das Fahrrad nun gerüstet sein. Danke Scott!

Im Fahrradgeschäft erfahre ich auch davon, dass vor einer halben Stunde ein Einradfahrer in den Ort gekommen sei. Er würde sich ebenfalls auf der Great Divide Strecke befinden. Im Gegensatz zu mir, fährt er allerdings von Nord nach Süd. Seit ich 7 Jahre alt bin fahre ich selber Einrad und habe bis kurz vor meiner Abreise zusammen mit meinem Vater und meinen Brüdern Einradkurse bei der „SG Kaarst“ geleitet (http://www.einradschule.de/). Keine Frage – auf diesen Einradfahrer bin ich neugierig. Ich sende eine E-Mail an die Adresse, die ich von den Jungs bei „Absolute Bikes“ bekommen habe und keine Stunde später treffen wir uns zum Abendessen im Zentrum. Voller Vorfreude erwarte ich ihn, da kommt er auch schon um die Ecke und mit was für einem Einrad. Eindeutig ist es ein „Municycle“ (mountain unicycle = geländegängiges Einrad). Ein großer Reifenradius sorgt für entsprechendes Vorankommen.

Ein breiter, profilstarker Mantel für den notwendigen „Grip“ auf den Schotterstrecken. Eine Scheibenbremse hilft bei steilen Abfahrten. Für den Transport des Gepäcks hat er sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Eine unter dem Sattel entlang geführte Stange hält vorne das Gewicht des Trinkwassers in einem Wassersack. Hinten befinden sich Zelt und Schlafsack in einem weiteren Packsack. Da nicht das gesamte Gepäck auf dem Einrad transportiert werden kann, trägt er bei der Fahrt zusätzlich einen Rucksack auf dem Rücken. Für das Entlasten seines Oberkörpers hat er Armstützen vor den Sattel montiert. Ein Schafsfell soll das Sitzen bequemer machen. Später verrät mir der 33jährige „Gen“, dass auch das Fell nicht wirklich weiter hilft. Das Sitzen wäre das Schmerzhafteste an seiner gesamten Tour.

Durch die Fahrt möchte er Spenden für das „Polaris Project“ sammeln. Ein Projekt, das sich dem Kampf gegen Sklaverei widmet. Auf seiner Internetseite berichtet er nicht nur von seinen täglichen Etappen, sondern bietet Besuchern auch die Möglichkeit sich finanziell an diesem Projekt zu beteiligen: http://www.greatdivideride.com/ .

Lange sitzen wir draußen in einem kleinen Restaurant beisammen und tauschen Reiseerlebnisse aus. Auch die Tischnachbarn kleben an unseren Lippen und als wir gerade die Rechnung bezahlen wollen, lässt es sich der Gentleman von nebenan nicht zweimal sagen und zahlt kurzerhand unsere Rechnung.

Drei weitere Great Divide Radler befinden sich heute ebenfalls  in der Touristenstadt „Salida“, die neben dem Wintersport auch für zahlreiche Wasseraktivitäten auf dem Arkansas River bekannt ist.

Mit „Jenny“, „Josh“ und „Tre“ suchen wir nun zu fünft eine Bar auf und feiern unser Zusammentreffen. Morgen werden wir alle wieder auf der Strecke unterwegs sein. Regen, Sonne, Matsch und Staub ausgesetzt. Am Abend wird auf Gas- oder Benzinkochern gekocht und das Zelt bietet das zu Hause. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf genießen wir die wenigen Stunden Zivilisation und freuen uns über die gegenseitige Gesellschaft. Diese Zeit gibt mir Kraft, wenn ich „draußen“ mit Schwierigkeiten zu kämpfen habe.

Gleich um 08:00 Uhr am nächsten Morgen geht es dann auch nach einem leckeren „Latte Macchiato“ und einer herzlichen Verabschiedung von meinen Gastgebern weiter. Drei Stunden nur bergauf. Dem Gipfel folgt eine offene Ebene. Der Wind fegt mir um die Ohren, der Wegesrand ist mit gelben Blumen gesäumt und ab und zu meine ich schon die erste herbstliche Laubfärbung an den Bäumen zu erkennen.

Ein großes Wasserloch stellt mich dann vor ein Problem. Wie tief mag es wohl sein? Kann ich in der Mitte durchfahren? Oder soll ich es lieber am Rand probieren? Nach mehreren Minuten des Überlegens entschließe ich mich dazu, mein Fahrrad seitlich des Lochs, das den gesamten Weg einnimmt, vorbeizuschieben. Absolute Fehlentscheidung! Bis über meine Knöchel sinke ich in den braunen Schlamm ein. Das Fahrrad, die Schuhe, die Socken, meine Füße – alles ist nass und schlammig. Wenig später erstarrt der Matsch und bröckelt von den Schuhen.

Als nächstes erreiche ich „Hartsel“. Das winzige Dorf bietet eine Bar sowie ein Tankstelle. Doch Trinkwasser gibt es keines aus dem Wasserkran. Hier müssen die Einwohner das Wasser aus den Nachbargemeinden beziehen. Mit den Schultern zuckend übergibt mir die Damen hinter dem Bartresen gerade mal einen einzigen Liter des kostbaren Gutes.

Obwohl es schon 17:00 Uhr ist mache ich mich auf den weiteren Weg in Richtung „Como“. Nach einer kurzen Strecke auf dem Highway biegt der Weg wieder auf Schotter ein. Diesmal werde ich von „Waschbrett-Wellen“ durchgerüttelt.

Ermüdet schiebe ich mein Rad den Hang hinauf. Heute schlafe ich unter Tannenbäumen.

„Como“ ist auf meiner Karte mit einem Geschäft sowie einem „Bed and Breakfast“ eingezeichnet. Ein wenig erschrecke ich mich, als ich das kleine Dörfchen mit gerade einmal 22 Einwohnern erreiche. Einen Laden gibt es tatsächlich und „Wayne“, der Besitzer, heißt mich auch gerne willkommen, doch außer Keksen und Fertignudeln ist wenig Nahrhaftes im Angebot.  

Auf zum „Boreas Pass“. Mit 3500 Metern Höhe ist er einer der höchsten Pässe entlang der Route. „Julia“ und „Holm“ aus Deutschland haben ihn gerade hinter sich und berichten mir von ihrem Erlebnis. Die Beiden, die in 2008 – 2010 eine 26monatige Radreise durch Europa, Asien und Ozeanien unternommen haben (www.strassenkreuzer.org), sind nun für vier Wochen auf dem Great Divide Trail unterwegs.

Kontinuierlich geht es bergauf. Ein Gewitter ist im Anmarsch und kurz vor dem Gipfel des Passes beginnt es plötzlich zu hageln. Erbsengroße Eisbälle fallen vom Himmel und jagen mir einen ganz schönen Schrecken ein. Ist der Winter tatsächlich schon so nah? Werde ich es vor dem ersten Schnee nach Kanada schaffen? Wir haben doch erst Ende August !

Auf der anderen Seite des Berges liegt „Breckenridge“. Ursprünglich war dies einmal eine Minenarbeiter-Siedlung. Heute zählt es zu einem der bekanntesten Ski- und Ferienorte Colorados und platzt vor allem im Winter mit Besuchern aus der naheliegenden Großstadt „Denver“ aus allen Nähten. Ein Outdoor-Geschäft reiht sich an das nächste. Auch hier werden schon die Skis und Snowboards in die Schaufenster geräumt – nichts wie weg.

Durch „Frisco“ geht es entlang des „Dillon Reservoirs“ weiter. Das Wetter ist fürchterlich. Alles in grau in grau, über mir blitzt es und der Regen ist schon lange durch meine Kleidung gedrungen. Doch ich bin als Radfahrer dennoch nicht alleine unterwegs. „Jim“ überholt mich auf seinem Rennrad und lädt mich auf ein weiches Bett und eine warme Dusche ein. Der Abend wird daher doch noch gemütlich und gemeinsam sitze ich mit Jim, seiner Frau „Donna“ und seinem Sohn „Josh“ über selbstgebackenen Tacos zusammen. Auch am Morgen werde ich mit frischen Pfannkuchen verwöhnt. Gut gestärkt breche ich nach „Silverthorne“ auf. Die hässliche Stadt scheint ausschließlich aus Outlet-Stores zu bestehen und so fahre ich direkt meinem nächsten Pass entgegen.

Schließlich ist der Winter mir auf den Fersen. Abermals geht es auf 2800 Meter hinauf, doch hier habe ich Asphalt unter meinen Reifen und so kann ich den stetigen Anstieg schneller als gewöhnlich bewältigen. Gelbe Blumen zieren den Straßenrand und die Bergkulisse im Hintergrund ist einfach einmalig. Mit dem Pass verabschiede ich mich für eine gewisse Zeit von den Rocky Mountains und fahre in die östlich der Berge gelegenen Prärien hinab. Natürlich treffe ich auch heute auf einige Reiseradler. Zunächst kommen mir die beiden aus Montana stammenden Mountainbiker „Herb“ und „John“ entgegen. Wenig später treffe ich auf die zwei Engländer „Debbie“ und „Des“. Seit einem Jahr bereisen sie mit ihren Rädern abschnittsweise die Welt. „Indien“ verraten sie mir als ihren geheimen Favoriten.

Mit Blick auf den Colorado River geht es steil bergab, um danach ebenso steil wieder anzusteigen. Erschöpft erreiche ich einen Campingplatz, der schon von einer Gruppe Privatschüler und ihren Lehrern belegt ist. Bereitwillig lassen sie auch mich mein kleines Zelt auf ihrem Platz aufstellen. Elf Schüler aus „Vail“ im Alter zwischen 14 und 17 Jahren erleben hier ein zweitägiges Outdoor-Camp. Wandern, schwimmen, raften, mountainbiken – im Sommer bietet ihnen der Colorado River und seine Umgebung die besten Möglichkeiten. Im Winter dreht sich alles um das Skifahren in den Rocky Mountains.

Gemeinsam sitzen wir beim Lagerfeuer und ich werde von den Trainern dazu aufgefordert eine kurze Rede über meine Tour und die kontinentale Wasserscheide zu halten. Gespannt lauschen mir dabei 22 Kinderohren  und als Belohnung weihen sie mich in die Herstellung von „S'Mores“ ein. Der Name leitet sich von den beiden englischen Wörtern „some“ (ein paar/etwas) und „more“ (mehr) ab. Zunächst spießt man „Marshmallows“ an einem Stock auf und versucht den Mäusespeck leicht zu erhitzen und zum Schmelzen zu bringen. Dabei ist es eine wahre Kunst den äußeren Rand nicht schwarz anzukohlen. Zwei Butterkekse bilden die äußere Schicht dieses Zucker-Burgers. Hinein wird nun Schokolade und der warme Marshmallow gelegt. Die Kinder sind glücklich und wir Erwachsenen auch. Einer holt noch seine Gitarre hervor. Der Abend ist perfekt.

Ein lautes Rascheln weckt mich um 05:00 Uhr morgens. Da will doch nicht schon wieder eine Maus oder ein Eichhörnchen in mein Zelt eindringen?! Fluchend verscheuche ich das Nagetier und mache mich sogleich abfahrbereit. Der Tag wird verdammt anstrengend. Zunächst bergauf, dann bergab nach „Radium“, wo ich den Colorado River zum letzten Mal überquere und wieder in vielen Serpentinen zum „Lynx Pass“ hinaufstrampele. Manchmal hilft hier einfach nur noch schieben. Am Mittag blicke ich von der anderen Bergseite auf meinen Campingplatz vom Vorabend zurück.

In Luftlinie trennen uns vielleicht gerade einmal ein paar Kilometer, aber mit dem Fahrrad kann man eben nicht fliegen…

Zu später Stunde fahre ich in „Steamboat Springs“ ein. Eigentlich weiß ich, dass man genau das vermeiden sollte. Ankunft in einer fremden Stadt bei Dunkelheit, ein Anfängerfehler unter Reisenden.  Doch ohne Erfolg habe ich schon seit einer Stunde nach einem geeigneten Campingplatz Ausschau gehalten, sodass ich immer weitergefahren bin. An der Tankstelle erkundige ich mich nach einem offiziellen Campingplatz. Doch der liegt noch einmal gute fünf Meilen außerhalb der Stadt. Zumindest kann ich hier meinen Bärenhunger stillen. Ein halber Liter Kakao und ein Muffin verschaffen mir die notwendigen Kalorien und einen Zuckerschub. Im großen Supermarkt ein paar Kilometer weiter, decke ich mich nochmals mit Lebensmitteln ein. Morgen früh, wenn ich abfahren will, hat der wahrscheinlich noch geschlossen.

Ich habe keine andere Wahl, als mich auf den Weg zu diesem Campingplatz zu machen, der außerhalb des Zentrums liegt. Eine andere Unterkunft kommt nicht in Frage – die Preise mit mindestens 50 Dollar für eine einzige Nacht sind für mich utopisch. An der letzten Ampel erkundige ich mich nochmals nach dem genauen Weg. Bislang habe ich noch nicht einmal ein Schild für den Zeltplatz gesehen.

Ein Mann an der Bushaltestelle erklärt mir den Weg, weist auch darauf hin, dass die Straße aufgrund mangelnder Beleuchtung im Stockdunkeln verlaufen würde und lädt mich kurzerhand zu sich nach Hause ein. Ich bin verzweifelt, weiß nicht so Recht was ich machen soll und dann kommt auch schon der Bus um die Ecke. Gemeinsam hieven wir mein schweres Rad auf den Fahrradgepäckträger des Busses hinauf. Hier haben alle öffentlichen Verkehrsmittel sogenannte „bike-racks“, was für mich heute besonders praktisch ist. Wenig später stehen wir in „Titan’s“ kleiner Wohnung. Eine Schlafcouch wird schnell zu einem Bett umfunktioniert und eigentlich müsste ich auch sogleich in tiefe Träume fallen, doch irgendwie fühle ich mich etwas unwohl mit dem fremden Mann im Nebenraum. Ich kenne ihn doch gar nicht und sehne mich nach einem einsamen Platz in der Wildnis unter dem Sternenhimmel. Wäre ich mit jemandem zusammen unterwegs gewesen, hätte ich sicherlich die Strecke zum Campingplatz auf mich genommen. Ist man alleine unterwegs, denkt man über alles Unbekannte mehrfach nach und lässt sich von seinen eigenen Ängsten in die Irre führen. Heute frage ich mich was wohl gefährlicher ist: eine Nachtfahrt als Frau alleine durch unbekanntes Gebiet oder eine Übernachtung in der Wohnung eines fremden Mannes, der nun schnarchend im Nachbarraum liegt.

Ein Glück, dass der Bus schon um 06:36 Uhr abfährt.

In Windeseile bin ich zurück an der Haltestelle bei der ich gestern Abend eingestiegen bin. Ein wortkarges „Goodbye“ zu Titan und schon rolle ich davon. Noch lange frage ich mich im Stillen warum Titan mich überhaupt zu sich nach Hause eingeladen hat. Er wundert sich wahrscheinlich auch, warum ich einfach so mitgekommen bin. Gesprochen haben wir wenig und das ist vielleicht auch gut so.

An einem Parkplatz hole ich mein Frühstück nach und in „Clark“ bekomme ich sogar einen heißen Kaffee. Mit gefülltem Magen sieht alles schon wieder viel besser aus.

Gestern traf ich durch Zufall noch auf den Niederländer „Allert“. Ausdrücklich hat er mir empfohlen heute die Alternativroute über „Columbine“ zu nehmen. Er habe auf der Hauptroute sogar bergab schieben müssen. Es wäre einfach sehr sehr steil und mit großen Steinen versetzt. Da ich in umgekehrter Richtung unterwegs bin würde ich die gleiche Strecke bergauf in Angriff nehmen müssen. Bei diesen Vorwarnungen – nein danke.

Im shop in „Columbine“ bekomme ich sogar ein Eis und ein paar Postkarten. Auch die Landschaft ist wirklich sehenswert.

Es geht mitten durch Farmer-Land und den Bäumen ist der Herbst nun deutlich anzusehen. Grün, Gelb, Orange, Rot – alle Farben sind vertreten. Besonders die gelb leuchtenden Birken gefallen mir.

Schon von Weitem sehe ich das Gewitter in der Ferne immer näher kommen. Ausweichen kann ich dieses Mal nicht und so werde ich kurz darauf so richtig nass. Der Schotter verwandelt sich in Matsch. Mit jeder Reifendrehung werde ich mit Schlamm bespritzt. Durch meine Brille kann ich kaum noch etwas erkennen. Ich kann mir gut vorstellen, wie ich aussehen mag. Zum Beweis schieße ich ein Selbstportrait und muss beim Anblick des Bildes später selber lachen. Eine halbe Stunde tobt das Unwetter über mir, dann habe ich es geschafft.

Den eingezeichneten Campingplatz kann ich nirgends finden. Von einer Familie bekomme ich das Angebot in ihrem Garten zu zelten, doch heute möchte ich gerne für mich alleine sein und fahre weiter. Tatsächlich finde ich wenig später am „Little Snake River“ ein schönes Plätzchen. Erst einmal gilt es alles von dem Matsch zu befreien. Mitsamt Fahrrad steige ich bis zu den Knien ins Wasser und starte eine Grundreinigung. Zunächst das Rad, dann die Klamotten und zu allerletzt ich selbst.

Bei Vollmond und halbstündigem Kojotengeheul schlafe ich zufrieden ein.

Das Zelt ist mein zu Hause.

Um 07:30 Uhr geht es am anderen Morgen weiter. Zunächst darf ich etwas Asphalt genießen, zum Ausgleich für diesen Luxus auf der Strecke geht es bergauf. Als ich wieder auf den bekannten Schotter einbiege und das leichte, nahezu lautlose Rollen sich in Steine aufspritzendes Knirschen verwandelt, erreiche ich schnell die berühmte „Aspen Alley“. Zu beiden Seiten stehen die senkrecht in den Himmel gewachsenen Espen dicht nebeneinander. In ein paar Wochen wird sich auch ihr Laub goldgelb färben.

Wenig später kommt der neue Wasserfilter zum ersten Mal zum Einsatz. Bislang waren die Abschnitte zwischen den einzelnen Versorgungspunkten, sei es eine Stadt, ein Ort, eine Tankstelle oder nur ein winziger Laden, immer gering genug um ausreichend Wasser mitzuführen. Das Filtern klappt prima und ich bin von meiner Neuanschaffung völlig begeistert. Wie schnell ich doch nun aus einfachem Flusswasser gefiltertes Trinkwasser bekommen kann. Technik die begeistert.  

Obwohl ich mich grundsätzlich auf einer Höhe bewege folgt ein Hügel dem anderen. So komme ich am Tagesende natürlich auch auf meine 1380 Höhenmeter.

Am „Teton Reservoir“, kurz vor der Stadt „Rawlins“ beende ich meinen Tag. Nochmal begehe ich nicht den Fehler und fahre gegen Abend in eine unbekannte Stadt. Aus Fehlern lernt man.

Den Campingplatz teile ich mir mit einer Großfamilie, die mit ihrem Wohnmobil angereist ist. Das einzige was mich an diesen rollenden Häusern so richtig stört ist der Generator, der die Stille der Natur mit seinem lautstarken Gebrumme durchstößt. Abermals zieht ein Gewitter auf, doch mein Zelt steht schon und meine Suppe kann ich auch bei geschlossener Apsis (Vorzelt) kochen.

26 km sind es noch nach „Rawlins“. Beim Eintreffen in die Stadt erreiche ich den 27.000sten Gesamtkilometer meiner Reise. In einem kleinen Café kann ich mich für diese Leistung mit einem leckeren „Latte Macchiato“ und einem „Cream Cheese Bagel“ (Frischkäse-Brötchen) selber belohnen. Zudem gibt es eine kostenfreie Internetverbindung und so lasse ich auch gleich meine Familie von meinem Glück wissen. „Geteilte Freude ist doppelte Freude“ wie das berühmte Sprichwort so gerne sagt. Gleiches gilt natürlich auch für das Synonym „Geteiltes Leid ist halbes Leid“. Auch wenn es aufgrund meines ständigen Reisens und der kontinentalen Zeitverschiebung oftmals nur per E-Mail ist.

Der Kontakt zu Familie und Freunden per Internet kann höchst bedeutsam sein.

Im Supermarkt starte ich diesmal einen Großeinkauf. Das „Great Divide Basin“ von „Wyoming“ steht bevor. Wikipedia beschreibt es als „eine Insel im Verlauf der kontinentalen Wasserscheide Nordamerikas“. Mir fehlt dazu das die Landmasse umgebende Meer oder Binnengewässer. Und genau das ist auch das Problem beim Durchqueren des „Basins“ (Beckens). Gerade einmal an zwei Stellen kann ich meinen  Wasservorrat auffüllen, den Rest muss ich auf meinem Fahrrad transportieren. Lebensmittel gibt es erst wieder in „Atlantic City“ zu kaufen und dann auch nur in geringer Auswahl. Bis dahin brauche ich 2 ½ Tage. Kein Wunder also, dass mein Fahrrad voll beladen ist. Neben sämtlichen Paketen voller Nudeln und Tomatensoße befinden sich vor allem Müsliriegel und Nüsse für zwischendurch in meinen Taschen. Jeden Morgen gibt es Haferflocken mit Pulver-Milch. Voraussichtlich kann ich bis „Pinedale“ damit auskommen.  

Gegen Mittag geht es endlich los. Zunächst einmal ein gutes Stück auf Asphalt, wo ich „Janie“ und „Randy“ entgegenfahre. Die Beiden legen die gesamte Strecke von Kanada nach Mexiko zu Fuß zurück.

Heute sind sie schon um 03:00 Uhr am Morgen gestartet, um eigentlich die Post in „Rawlins“ noch rechtzeitig erreichen zu können. Leider muss ich die zwei jedoch enttäuschen. Das Postamt, das ich selber vor wenigen Minuten besucht habe, hat seit 5 Minuten zu. Jetzt müssen sie zwei Tage lang im Ort warten, denn am Montag ist Feiertag und das Gebäude bleibt geschlossen. Doch sie sehen es gelassen, freuen sich sogar ein wenig auf eine verdiente Pause. Da werden sie nicht nur ihre Rucksäcke aussortieren, sondern auch die Kleidung endlich mal wieder waschen können, verraten sie mir. Getreu ihrem Spruch: „Get miles, get smiles“ (frei übersetzt: Mach' Strecke, bekomm‘ Lächeln/werde glücklich), den sie auf ihrem Halstuch tragen, sehen sie es gelassen. Zum Abschied grinsen sie breit in die Kamera.

Als ich auf den Schotter einbiege kann ich tatsächlich ins scheinbar Endlose blicken. Kein Baum, kein Strauch, keine Siedlung, keine Menschen weit und breit. Jetzt weiß ich warum einige Radler zuvor davon gesprochen haben, dass es hier „ziemlich öde“ sei. Spärliches Grasland ziert die Gegend. Eine Wüste eben.

Wetterglück habe ich definitiv keines. Erneut ereilt mich ein riesiges Gewitter. Der Donner folgt sofort auf den vorhergehenden Blitz.

Es ist direkt über mir. Dazu kämpfe ich gegen einen gehörigen Gegenwind an. Der Regen peitscht mir damit nur so ins Gesicht und ich beginne zu schieben. In „Rawlins“ hatte ich mir noch den Wetterbericht angesehen. Der sprach von einer 5%igen  Regenwahrscheinlichkeit. Das bisschen scheint sich genau über mir zusammengebraut und ausgetobt zu haben. Genauso schnell wie es gekommen ist, hört es dann wieder auf und ein strahlend blauer Himmel überrascht mich. Ohne mich umzusehen fahre ich vom Seitenrand in gegenüberliegender Richtung, an dem ich meine nasse Kleidung ausgezogen habe, wieder los. Beinahe erwischt mich dabei frontal ein Auto. Natürlich fährt es viel zu schnell und zieht dabei auch noch einen großen Bootsanhänger hinter sich her. Doch der Unfall wäre meine eigene Unvorsichtigkeit gewesen. Wie doof kann man eigentlich sein und ohne zu gucken die Straßenseite wechseln! Ein regelrechter Adrenalinstoß rauscht durch meinen Körper. „Noch einmal Glück gehabt“ rufe ich mir zu und fahre weiter. Auch in völlig unbesiedeltem Gebiet muss ich immer mit Fahrzeugen rechnen und sei es auch nur ein einziges pro Tag. Kurz darauf kommt mir „Mathieu“ aus den Niederlanden entgegengeradelt. Von dem Schauer hat er nichts mitbekommen. In kurzem Trikot und mit reichlich Sonnencreme auf der Nase kann er über meine nasse Ausrüstung nur lachen.

Ich fahre bis zum „A & M Reservoir“ durch.

Dem ersten Wasserversorgungspunkt auf der Route. Zuvor sehe ich noch einige Gabelböcke entlang des Weges. „Pronghorn“ werden sie hier aufgrund ihrer an den Enden gegabelten Hörner genannt. Die Jagdsaison wurde heute eröffnet. Daher rührt also der, wenn auch geringe Verkehr, der für das Basin untypisch ist. Ich dagegen bin froh, dass mein Trikot weithin rot leuchtet. So hoffe ich darauf aus der Ferne nicht mit einem Tier verwechselt und womöglich noch angeschossen zu werden. Die Jäger selber tragen meist orange Jacken oder Westen.

Am Reservoir angekommen stelle ich fest, dass ich hier nicht alleine bin. Zwei andere Zelte stehen schon um den kleinen Wasserspeicher herum. Fahrräder liegen davor. „Rick“ ist ebenfalls aus den Niederlanden und musste sich durch technische Probleme von „Mathieu“ trennen, den ich ja kurz nach dem Unwetter getroffen habe. Mitten in der Nacht sollte er unbemerkt verschwinden, um die Strecke zu seinem Freund aufholen zu können. Die Beiden gehen die Sache sehr sportlich an. „Chris“ und „Patty“ dagegen sind aus „New Hamshire“ und wollen am kommenden Tag „Rawlins“ erreichen. Vom „Great Divide Basin“ haben sie erst einmal genug und warnen mich zum Abschied vor starkem Gegenwind. Sie hätten nämlich überwiegend Rückenwind gehabt.

Und genau dieser ständige Gegenwind sollte mir auch die Fahrt durch diese Wüste so beschwerlich machen.

Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht noch Gefallen an dieser Region finden können, doch so werden die folgenden zwei Tage zur Tortur. Es sind Patagonien-ähnliche Zustände. Immer wieder muss ich an den Start meiner Reise denken und ganz besonders an den Heiligabend, als der Wind eine solche Stärke annahm, dass Fahrradfahren für mich und meinen Begleiter „Frantz“ nicht mehr möglich war und uns ein italienisches Pärchen auf Hochzeitsreise im Pick-Up bis zur nächsten Ortschaft mitnahm. Das beste Weihnachtsgeschenk, das ich im Leben je bekommen habe. Ganz so schlimm wie damals ist es hier jedoch noch nicht und so trete ich kräftig in die Pedale. „Ashley“ aus England kommt mir irgendwann entgegen. Ein Grinsen steht auf seinem Gesicht. Kein Wunder denn bei dem Rückenwind kann er gleich heute noch nach „Rawlins“ fahren. Wie unterschiedlich die Erlebnisse für jeden Einzelnen doch sein können. Allein die Natur entscheidet ob einem die Strecke gefällt oder nicht. Heute heißt es für mich einfach nur „durchhalten“. Auch die wilden Pferde und die zwei Cowboys die eine Kuhherde vor sich hertreiben bringen wenig Abwechslung.

Plötzlich versagt dann auch noch mein „Tacho“ seinen Dienst. Gerade hier kann ich nicht auf ihn verzichten, denn es gibt keine Schilder, die mir die nächste Wasserstelle anzeigen. Ich muss mich allein auf die Kilometerangaben der ACA-Karten verlassen

Ohne die wäre ich ganz aufgeschmissen. Nervös krame ich in meinem Ersatzteile-Beutel. Ich erinnere mich, dass mir mein Papa bei seinem Besuch in Kolumbien einen Reserve-Magneten mitgebracht hat und genau den brauche ich jetzt. „Wer suchet der findet“. Keine zehn Minuten später ist der defekte Magnet ausgetauscht und es kann weitergehen. Im Geiste danke ich meinem Vater für seine weise Voraussicht.

Nach exakt 92 km biegt dann tatsächlich ein kleiner, völlig unscheinbarer Pfad vom Hauptweg ab. Hier muss sich die zweite Wasserstelle befinden, an der ich ohne meinen Tacho mit Sicherheit vorbeigefahren wäre. Hier wurde mitten in der sandigen Umgebung eine Art Bio-Projekt angelegt. Genaueres kann ich über die von Menschenhand installierte Wasserpumpe nicht herausfinden. Doch das brauche ich auch gar nicht – Hauptsache ich kann mein Wasser auffüllen!

Kaum liege ich im Zelt hört der Wind auf. Ungläubig schäle ich mich noch einmal aus dem Schlafsack, nur um zu registrieren, dass es tatsächlich völlig windstill ist. Wo gibt es denn sowas? Am besten sollte ich mich sofort wieder auf das Fahrrad setzen! Doch dazu bin ich viel zu müde.

Am nächsten Morgen bin ich immer noch müde.

Zugleich fühle ich mich krank. Mein Kopf ist heiß, ich fühle mich motivationslos und leer. Ich muss hier einfach so schnell es geht raus. Natürlich hat der Wind wieder eingesetzt und erschwert mir auch noch die gesamte restliche Strecke nach „Atlantic City“, einer kleinen Bergwerkssiedlung, die ich gegen Mittag erreiche. Hier gibt es sogar eine Bar und ich bestelle erst einmal eine große Portion Pommes, die meine Stimmung schnell wieder hebt. Hier treffe ich auf „Jay P.“, einen „Great Divide Racer“ (Rennfahrer), der zum vierten Mal die Route in Angriff nimmt. Beim diesjährigen Rennen wurde sein Rekord gebrochen, den er sich nun wieder zurückerobern will. Gerade einmal 7 Tage hat er von Kanada hierher gebraucht. Durchschnittlich sind das 190 Meilen (306 km) pro Tag! Kein Wunder, dass dabei kaum Zeit zum Schlafen bleibt. Er gönnt sich ab und zu mal 3-4 Stunden und schwingt sich danach wieder in den Sattel. Jetzt sitzen wir gemeinsam am Tisch in der Bar und ich kann nur staunen, was Jay in kürzester Zeit so alles verschlingt. Zwei Burger mit Pommes, ein Teller voller gebackener Kartoffeln mit Kräuter-Dip, als Vorspeise mindestens noch sechs Bruschetta-Brote. In rasanter Geschwindigkeit ist der gesamte Tisch mit Essbarem belegt. Zu guter Letzt lässt er sich auch nochmal einen Burger mit Pommes und Chips zum Mitnehmen machen. Jetzt will er in einem einzigen Tag durch das „Great Divide Basin“ rasen. Die gleiche Strecke für die ich 2 ½ Tage gebraucht habe. Der Wettergott steht zumindest schon mal auf seiner Seite und zum Abschied rufe ich ihm „I will take all the headwind for you“ (Ich nehme dir allen Gegenwind ab) zu. Wie wahr das noch werden sollte.

Ich schlage mich nach „South Pass City“ durch. Nur ein Eis und Schokolade können mich für die Weiterfahrt aufmuntern. Der Zucker erfreut zumindest kurzfristig meinen Gaumen und ist meine Belohnung für all die Strapazen, wenn mich sonst schon keiner lobt, muss ich es eben selber machen.

Wenig später kommt mir „Rob“ entgegen. Von „Pinedale“ ist der Niederländer regelrecht hierher geflogen. Ich dagegen habe nicht die geringste Chance diesen Ort heute erreichen zu können. Schotter, Waschbrett, Hügel, Wind. In meinem Tagebuch heißt es abschließend: „Es ist zum Kotzen!“. Entschuldigt an dieser Stelle meine Ausdrucksweise, doch anders ist es einfach nicht auf den Punkt zu bringen. „Little Sandy Creek“ kann ich heute auch nicht mehr erreichen. Auf einer Kuhwiese baue ich mein Zelt auf. Neben zahlreichen Kuhfladen habe ich hier immerhin tierische Gesellschaft.

Es wird eine verdammt kalte Nacht. Am Morgen hat es gerade einmal 2°C. Leichter Frost befindet sich auf meinem Zelt. Es bläst kein Wind doch die Kälte ist mindestens genauso schlimm. Meine Füße frieren fast ab. Ich muss absteigen, meine Schuhe ausziehen und meine Zehen massieren. Es tut so weh, dass ich vor Schmerzen fast aufschreie. Als ich endlich den Asphalt erreiche, schlägt auch der Wind wieder zu. Von den 30 km nach „Boulder“ erkämpfe ich mir jeden einzelnen und frage mich bei der Rast an der dortigen Tankstelle, wie ich die weiteren 20 km nach „Pinedale“ nur überstehen soll. Es geht nur mit Musik auf den Ohren denke ich mir. Nach zwei Minuten ist der Akku leer. Wie in Trance trete ich wütend in die Pedale und irgendwie schaffe ich es dann doch noch nach „Pinedale“.  

Mein erster Weg führt mich zur „Library“ (Bücherei). Ich trete in ein hochmodernes Gebäude ein. Hier stehen sogar Macintosh-Rechner zur freien Verfügung. Die Dame am Empfang frage ich nach einem „Youth hostal“ (Jugendherberge). Mein Körper schreit einfach nur nach einer Pause, einem Bett und Ruhe. Doch eine günstige Unterkunft hat dieser kleine Touristenort nicht anzubieten. Die Preise in einem „Motel“ starten bei 100 Dollar. Den Schock verdaue ich am Computer. Erst einmal schreibe ich E-Mails nach Hause und suche bei „warmshowers“ nach einer Schlafgelegenheit. Irgendjemand muss währenddessen dem Direktor der Bücherei von mir erzählt haben. Nach kurzer Rücksprache mit seiner Frau, lädt er mich zu sich nach Hause ein. Am Handy erklärt er seiner Frau „she is searching for a youth hostal and I thought that we can be a youth hostal“ (Sie sucht nach einer Jugendherberge und da dachte ich, dass wir doch eine Jugendherberge sein können). Im Normalzustand hätte ich mich bei diesen Worten vor Lachen kaum halten können. Doch ich befinde mich nun mal nicht im Normalzustand und habe bei dem einzigen Haken an der Sache ordentlich zu schlucken. Sein Haus ist weitere 13 km gegen den Wind vom Zentrum entfernt. Dass ich mich dann auch noch verfahre setzt dem Ganzen die Spitze auf. Netter Weise kommt mir „Sue“, die Frau des Bücherei-Direktors „Sid“, entgegen und weist mir den richtigen Weg.

Die Ankunft ist dann ein wahrer Traum. Alles fühlt sich so herrlich an. Die Dusche, das Abendessen, das Bett – genau in dieser Reihenfolge.

Einen Ruhetag habe ich mich nun redlich verdient. Allerdings stehen auch Erledigungen auf meiner Liste und so besorge ich mir in einem Outdoor-Laden ein dünnes Kletterseil, mit dem ich in Zukunft meine Essensvorräte in einen Baum hängen werde. Ich nähere mich Bärengebiet. Als Päckchen schicke ich überflüssig gewordene Land-Karten wieder nach Hause. Am Abend tausche ich noch meinen abgefahrenen Hinterradreifen und bin ab nun wieder mit „Schwalbe“-Reifen unterwegs. Keine andere Marke kann deren Qualität überbieten und nein – ich werde nicht von ihnen gesponsort!

Immerhin bleibt kurz Zeit, um den umliegenden Seen einen Besuch abzustatten. In dieser trockenen, kargen Umgebung hätte ich niemals so viel Wasser vermutet und wäre auch einfach unbemerkt daran vorbeigefahren, denn sie befinden sich ganz oben in den Bergen.

Am nächsten Tag passiere ich auch schon das erste Hinweisschild von Vielen. Ab nun befinde ich mich in Grizzly-Bär-Gebiet! Der Aufstieg zum „Mosquito Lake“ ist mit tiefem Sand versetzt.

Hier brettern zudem die Touristen aus „Pinedale“ mit ihren Quads vorbei und stauben mich schön ein. Wenig später setzt Regen dem Staub ein Ende und es kühlt auf 4°C ab. In Regenmontur fahre ich weiter zum drei Kilometer abseits liegenden „Lake oft he Woods“. Hier bin ich ganz alleine direkt am See. Mich beschleicht ein komisches Gefühl. Die Bärenschilder haben mir einen ordentlichen Respekt eingejagt. Ab in den Baum mit den Vorräten. Vorhin habe ich eine Elchmama mit ihrem Baby gesehen. Aus einem Nadelbaum flog eine große Eule genau vor mir über den Weg. Hier bin ich wieder weit ab von jeglicher Zivilisation und um mich herum nichts als pure Natur.

Das erste Mal sinkt die Temperatur in die Minusgrade. Am Morgen sind es -1 °C. Meine Abfahrt verzögert sich auf 08:00 Uhr. Ich bleibe lieber noch ein wenig im Schlafsack liegen. Zwei Pässe stehen heute auf dem Programm. Doch beide bewältige ich problemlos. Die Pause in Pinedale hat mir neue Kräfte gegeben. Auch mein Ipod ist wieder aufgetankt und so radle ich bei bester Laune zu der Musik von „Jack Johnson“. Die Nacht verbringe ich auf einem Campingplatz. Viele „outfitter“ haben sich hier mit ihren großen Pferdeanhängern niedergelassen. Sie führen Touristen in die nahegelegenen Jagdgebiete. Schon in „Pinedale“ konnte ich feststellen, dass sich hier alles rund um die Jagd dreht.

Aus aller Welt scheinen Trophäenjäger anzureisen, um hier ihren Elch oder vielleicht sogar einen Bären zu schießen. Für dieses Erlebnis müssen sie ganz schön tief in die Tasche greifen. In einem Prospekt habe ich Zahlen gesehen, die sich im fünfstelligen Bereich bewegen. Der ganzen Sache kann ich persönlich allerdings wenig abgewinnen.

Der erste Abschnitt des Great Divides ist vorüber. Man hat es mir nicht immer leicht gemacht. Nach dem großen Touristenrummel in Utah’s Nationalparks hatte ich mich besonders nach Natur und Einsamkeit gesehnt. Beides habe ich in Hülle und Fülle bekommen. Das ein oder andere Mal vielleicht sogar ein bisschen zu viel davon. Jetzt freue ich mich auf eine Pause im „Grand Teton Nationalpark“ und werde sogar von einem deutschen Pärchen erwartet. Doch mehr davon im nächsten Bericht.

Pictures & Video

Shop am Streckenrand
Shop am Streckenrand
nicht so tolle Sicht
nicht so tolle Sicht
kann man da anrufen und besseres Wetter bestellen?
kann man da anrufen und besseres Wetter bestellen?
schaut euch mal das "Gepäck" an
schaut euch mal das "Gepäck" an
mein erster Great Divide Pass
mein erster Great Divide Pass
Marshall Pass Aussicht kleiner See zelten und schöne Wildblumen überall
und schöne Wildblumen überall
na da bin ich aber gespannt!
na da bin ich aber gespannt!
auf nach real-Colorado
auf nach real-Colorado
erster Ort: Salida
erster Ort: Salida
ja, das war schön dort!
ja, das war schön dort!
Farmer's market Idylle beim Farmer's market
Idylle beim Farmer's market
Straßenmalerei Kunst?! lecker Kaffee alles dreht sich hier um's Great Divide
alles dreht sich hier um's Great Divide
und um Fahrräder natürlich
und um Fahrräder natürlich
bester bike-shop nach 1 1/2 Jahren ist so Einiges fällig
nach 1 1/2 Jahren ist so Einiges fällig
endlich mal wieder auf einem Rad, ich kann's noch
endlich mal wieder auf einem Rad, ich kann's noch
Comments:
whow good to see that you can ride such a bike, marten also can do that, that is funny From karin and marten, on Sep 20, 2012 at 09:08PM
Great Divide Unicyclist: Gen
Great Divide Unicyclist: Gen
THANKS Abbie and Evan!
THANKS Abbie and Evan!
weiter zum nächsten Pass
weiter zum nächsten Pass
Berge und Blumen, alles was ich brauche
Berge und Blumen, alles was ich brauche
feste treten^^ auf nach Hartsel mein Weg Matsch-Loch das war der schlechteste Weg! arme, weiße Socken^^
das war der schlechteste Weg! arme, weiße Socken^^
Comments:
Das schönste Photo bis jetzt ;-) From KlausBaerbel, on May 27, 2013 at 07:23PM
gestrandet?! erste Laubfärbung im August!
erste Laubfärbung im August!
herzlicher Empfang
herzlicher Empfang
eine Bar, mehr gibt es hier nicht
eine Bar, mehr gibt es hier nicht
ok... und ein Sheriff Office ;-)))
ok... und ein Sheriff Office ;-)))
Abendlicht Morgenlicht Landschaft früh morgens unterwegs
früh morgens unterwegs
washboard Wayne aus "Como" Como auf zum "Boreas Pass"
auf zum "Boreas Pass"
Boreas Pass Wetter wird immer schlechter
Wetter wird immer schlechter
und dann DAS: Hagel!
und dann DAS: Hagel!
trotzdem angekommen
trotzdem angekommen
Abfahrt nach Breckenridge
Abfahrt nach Breckenridge
Ski-Ort Ski-Ort schon wieder Regen
schon wieder Regen
THANKS Jim, Donna, Josh, meine Retter im Regen
THANKS Jim, Donna, Josh, meine Retter im Regen
nächster Morgen wieder schön
nächster Morgen wieder schön
sogar herlich Spiegelung auf dem Weg zum "Ute Pass"
auf dem Weg zum "Ute Pass"
Ausblick oben Reservoir da braut sich doch nicht schon wieder was zusammen
da braut sich doch nicht schon wieder was zusammen
bedrohliche Wetterstimmung
bedrohliche Wetterstimmung
Abfahrt zum Colorado River
Abfahrt zum Colorado River
campen mit einer Privatschule
campen mit einer Privatschule
S'Mores am Lagerfeuer
S'Mores am Lagerfeuer
gemeinsam um's Lagerfeuer
gemeinsam um's Lagerfeuer
alles hochgekämpft
alles hochgekämpft
und jetzt eine Pause!
und jetzt eine Pause!
bester Energie-Wrap ;-)
bester Energie-Wrap ;-)
dann kann's weiter gehen
dann kann's weiter gehen
1000 Höhenmeter ...in 29,26 km!!!
...in 29,26 km!!!
einmal von unten nass
einmal von unten nass
Wetter See bitte nicht! ich werde verschont! man glaubt es kaum
ich werde verschont! man glaubt es kaum
bis spät abends unterwegs
bis spät abends unterwegs
letztes Licht: Steamboat Springs
letztes Licht: Steamboat Springs
was eine Karre! Landschaft Kojoten-Geheul begleitet mich
Kojoten-Geheul begleitet mich
Columbine für alle Gartenfreunde
für alle Gartenfreunde
so ist man hier unterwegs
so ist man hier unterwegs
jetzt aber richtig: Gewitter pur!
jetzt aber richtig: Gewitter pur!
Herbststimmung NEIN^^^ kacke man!
kacke man!
Comments:
HAHAHA! Ich musste grade so lachen!! From Jana, on Dec 3, 2012 at 06:56PM
kann nix mehr sehen
kann nix mehr sehen
das Abendessen heitert mich wieder auf
das Abendessen heitert mich wieder auf
und da kann ich schon wieder lachen
und da kann ich schon wieder lachen
Vollmond krasses Schild! Straßenabbruch Fahrt durch die Aspen Alley (Birkenallee)
Fahrt durch die Aspen Alley (Birkenallee)
Aspen Alley mein Weg, der nicht enden will
mein Weg, der nicht enden will
Teton Reservoir am Teton Reservoir
am Teton Reservoir
Rawlins bester Stopp in Rawlins!
bester Stopp in Rawlins!
Belohnung bei exakt 27.000km
Belohnung bei exakt 27.000km
Great Divide Hiker
Great Divide Hiker
letzte Blumen vor dem "Basin"
letzte Blumen vor dem "Basin"
auf geht's in die Wüste und in den Regen
auf geht's in die Wüste und in den Regen
voll erwischt und nach 5 Min. kommt das Blau hervor
und nach 5 Min. kommt das Blau hervor
Radler-Camping beim A&M Reservoir
Radler-Camping beim A&M Reservoir
A&M Reservoir Sonnenaufgang am A&M Reservoir
Sonnenaufgang am A&M Reservoir
Sonnenaufgang am A&M Reservoir
Sonnenaufgang am A&M Reservoir
mein neues Gerät: Wasserfilter
mein neues Gerät: Wasserfilter
hunting-season schade, um die schönen Antelopen
schade, um die schönen Antelopen
Herde zusammen treiben
Herde zusammen treiben
Cowboy gar nicht so einfach...
gar nicht so einfach...
im Kampf gegen den Wind: Great Divide Basin
im Kampf gegen den Wind: Great Divide Basin
hier soll's Wasser geben... gab's auch^^
hier soll's Wasser geben... gab's auch^^
zelten "Diagnus Well"
zelten "Diagnus Well"
zu den Bergen muss ich...
zu den Bergen muss ich...
Atlantic City good luck Jay!!! Great Divide Racer
good luck Jay!!! Great Divide Racer
Continental Divide
Continental Divide
bei den Büschen campe ich heute...
bei den Büschen campe ich heute...
ich kann nicht mehr!
ich kann nicht mehr!
Lama's vor Pinedale
Lama's vor Pinedale
Bärspray oder doch besser ne "Shot Gun"???
Bärspray oder doch besser ne "Shot Gun"???
das ist hier eine "Library"!!!
das ist hier eine "Library"!!!
Umgebung von Pinedale
Umgebung von Pinedale
Ranch-Land THANKS Sue and Sid!
THANKS Sue and Sid!
ab jetzt im richtigen Grizzly-Land
ab jetzt im richtigen Grizzly-Land
der Herbst ist da
der Herbst ist da
mein Weg und so fahren die Einheimischen hier rum ;-)
und so fahren die Einheimischen hier rum ;-)
Lake of the Woods, ganz für mich alleine
Lake of the Woods, ganz für mich alleine
geheimnisvoll am Morgen
geheimnisvoll am Morgen
es dampft meine Tasche hängt ab jetzt bärensicher im Baum...
meine Tasche hängt ab jetzt bärensicher im Baum...
erste Nacht mit 0°C
erste Nacht mit 0°C
Morgenbesucher Sonnenaufgang wieder in bergigem Gebiet
wieder in bergigem Gebiet
schöne Strecke! genau das gefällt mir! beste Aussicht!
genau das gefällt mir! beste Aussicht!
mein erster Elch und der erste Frost
und der erste Frost
Berge in Sicht! Grand Teton's
Berge in Sicht! Grand Teton's
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